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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Gähnen unterdrückte. Vater Blouyn, ein streng blickender Mann von kleiner Gestalt, mit hängenden Wangen und einer großen, von Kratern übersäten Nase, saß ähnlich gelangweilt zur Rechten Seiner Eminenz. Ich fragte mich oft, ob sein rotes Gesicht andere Ursachen hatte als seinen angeblich übermäßigen Genuss geistiger Getränke. Er war ansonsten ein bemerkenswerter Mann, sehr belesen und fromm, besaß all die nötigen Voraussetzungen für einen solchen Prozess und war bestens geeignet für die Bestimmung von Ketzerei, denn er war ein so rechtschaffener Mann, wie man ihn hierzulande nur finden konnte, ob er nun trank oder nicht.
    Ich war daran gewöhnt, Bruder Blouyn in seinem Priestergewand zu sehen oder gelegentlich in der Kleidung eines Lehrers, heute aber trug er die Robe eines Richters und einen quadratischen Hut aus üppigem, rotem Samt, der auf den ersten Blick aussah, als wäre er ein wenig zu groß für seinen Kopf. Auch er schien das zu denken, denn er hielt ihn mit einer Hand fest, wenn er sich zu Jean de Malestroit beugte. Als er es diesmal tat, rutschte ihm eine Quaste vors Gesicht und baumelte vor seiner Nase hin und her, und er schob sie mit der anderen Hand beiseite, so dass er keine mehr frei hatte, um sie sich vor den Mund zu halten.
    »So viele Zeugen«, hörte – oder besser sah – ich ihn sagen. »Sollen wir noch weitere Schreiber rufen lassen?«
    Diejenigen, die anwesend waren, hatte man ausgewählt wegen der Überzeugungskraft und Leidenschaft ihrer Aussagen, die aufgezeichnet würden von den vier für diese Aufgabe bestimmten Schreibern, welche etwas tiefer vor den Richtern saßen. Ihre tintenfleckigen Finger suchten nach etwas, womit sie die Stunden füllen konnten; einer trommelte auf den Tisch, ein anderer zupfte an einem Hautfetzchen an seinem Nagelbett, und wieder ein anderer schnippelte an den Spitzen seiner Federkiele, um sie zu schärfen.
    Schließlich sollte es ja einen Prozess und eine Verurteilung geben, die aufgezeichnet werden mussten.
    Strategie, Klugheit und juristische Kniffe waren die Waffen, die sie gegen Gilles de Rais verwenden würden, und nicht die Schwerter und Pfeile, gegen die er sich wehren konnte. Jean de Malestroit und Bruder Blouyn würden ihn zurechtstutzen wie einen Schößling, wenn die Zeit gekommen war. Die Zeugen – die Bauern und Händler, die ihre Munition ausmachen würden – rutschten, selbst zappelig wie Kinder, auf ihren Bänken hin und her, jeder in banger Erwartung seines Auftritts vor der Zeugenschranke. Wenige dieser Leute wagten es überhaupt, mit einem Edelmann zu sprechen, geschweige denn, ihn in Gegenwart von Vertrauten des Königs in den Schmutz zu ziehen. Doch sie waren alle da, voller bereiter Wut. Dies ließ mich Madame le Barbiers Mut noch mehr bewundern. Ich fragte mich, ob sie überhaupt geahnt hatte, welchen Mahlstrom ihr Besuch beim Bischof auslösen würde.
    Die Stimme des Gerichtsdieners zerriss unerwartet die Stille mit der Invokation. Ich wäre beinahe von meinem Platz aufgesprungen.
    Sie würden ohne ihn anfangen.
    Nun folgte eine so vollkommene Stille, dass sogar unser Atmen als Beleidigung wirkte. Der Gerichtsdiener fuhr nun fort und sprach die Worte, die eine Antwort von Gilles de Rais verlangten, auch in absentia.
    »An diesem Mittwoch, dem achtundzwanzigsten Tag des September 1440, im zehnten Jahr der Herrschaft unseres Pontifex, des Heiligsten Vaters, Monsignore Eugène durch Gottes Gnaden Papst und der Vierte dieses Namens, während dieses des allgemeinen Konzils von Basel, vor unserem Verehrten Vater Gottes Jean de Malestroit, durch Gottes Gnaden und der des Heiligen Apostolischen Stuhls Bischof von Nantes und vor dem Ordensmann Bruder Jean Blouyn vom Orden der Dominikaner, Bakkalaureus der Heiligen Schrift und Vikar des Ordens, Bruder Guillaume Merici, vom oben genannten Dominikanerorden, Professor der Theologie, Inquisitor der Ketzerei im Königreich Frankreich, bevollmächtigt durch die Amtsgewalt desselben Bruders Guillaume und ernannt zum Inquisitor in der Diözese und Stadt Nantes, jetzt sitzend in der Kapelle des bischöflichen Palastes von Nantes, und in Anwesenheit von Schreibern und Notaren, Jean Delaunay, Jean Petit, Nicolas Gé raud und Guillaume Lesné …«
    Die besagten Schreiber beugten sich über ihre Pergamente und zeichneten, heftig die Federn schwingend, jedes Wort mit äußerster Sorgfalt auf.
    »… von denen erwartet wird, dass sie vor besagten Herren Bischof und Vize-Inquisitor alle und

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