Die Schreckenskammer
wollte die Eltern nicht täuschen, die den neuerlichen Schmerz auf sich nahmen, all diese Schuhe durchzusehen. Es erschien mir einfach nicht fair.
Der Antrag auf den Haftbefehl war das Meisterstück meiner Karriere, so klar und präzise wie kaum ein polizeiliches Schriftstück, das ich je verfasst hatte. Der Staatsanwalt – so mein Wunsch – sollte derart gefesselt von dem Ding sein, dass er dafür in den Ring steigen würde, sollte das nötig werden.
Fred war damit beschäftigt, persönlich die Gruppe auszuwählen, die unseren bizarren Verdächtigen verhaften sollte. Als er seine ungläubigen Vorgesetzten informierte, brauchte er mich mit dabei, um ihm, wenn nötig, mit Erklärungen auszuhelfen. Fred formulierte seine Aussagen mit extremer Sorgfalt, damit sie nur ja nicht auf den Gedanken kamen, wir hätten irgendetwas verbockt. Die ganze Vorstellung widerte mich an; dass sie mich wütend machte, versteht sich von selbst.
Ich amüsierte mich gerade ein wenig über die Vorstellung, dass Fred in seinem schlampigen Anzug noch immer inmitten all dieser schicken Uniformen saß, als das Telefon auf meinem Schreibtisch klingelte.
Pandora hörte Probleme in diesem elektronischen Trällern, aber sie hob trotzdem ab, dumme Kuh, die sie ist.
Ein zwölfjähriger Junge war von einem Mann, den er für einen Freund der Familie hielt, angesprochen worden, als er nach dem Fußballtraining von der Schule nach Hause ging. Der angebliche Freund hielt in einem Auto neben dem Jungen an und behauptete, die Mutter habe ihn gebeten, ihn abzuholen, weil sie ihn früher zu Hause brauche. Der Vorfall ereignete sich auf einer Nebenstraße, wo relativ wenig Verkehr war, allerdings gab es zwei Zeugen. Der eine war ein lästermäuliges, zugedröhntes Teenager-Flittchen, das sich als wenig hilfreich erwies. Der andere war, wie durch ein Wunder, der Junge selbst, der entkommen konnte.
Er hieß Carl Thorsen, und im Gegensatz zu diesem zukünftigen Junkie-Mädchen, das sich nach jedem genuschelten Wort die Nase wischen musste, redete er so schnell, dass ich ihn bitten musste, so ziemlich jedes Wort zu wiederholen.
»Das Auto kam neben mir ganz nahe an den Bürgersteig ich ging langsamer weil ich dachte es ist Jacks Auto die Beifahrertür ging auf und ich blieb stehen und schaute hinein aber da war nur Schatten und ich konnte nicht richtig sehen wer drin ist ich dachte aber zuerst es ist Jake weil’s das richtige Auto war und der Typ irgendwie so aussah wie er und da dachte ich mir was soll’s natürlich ist es er aber irgendwas an der Stimme störte mich sie klang nicht richtig weil sie zu hoch war und da kriegte ich richtig Angst und machte einen Schritt zurück aber er konnte mich noch am Ärmel packen und wollte mich hineinzerren aber ich hab mich richtig gewehrt und konnte mich wieder losreißen und bin dann so schnell ich konnte davongerannt.«
Carl schwor, er hätte geschrien, aber es war niemand in der Nähe außer dem Mädchen, das sagte, es hätte keinen Schrei gehört, und außerdem behauptete, es habe aus der Entfernung das Nummernschild nicht lesen können. Am liebsten hätte ich das Gör für ein paar regierungsamtliche Unannehmlichkeiten aufs Revier geschleppt. Vielleicht war es aber auch besser, dass sie so unkooperativ war. Junkies geben nämlich lausige Zeugen ab.
Ich setzte Carl in einen Streifenwagen und schickte ihn aufs Revier, wo man seine Eltern anrufen und die Mühlen der Justiz anwerfen würde. Escobar und ich setzten die Jungs von der Spurensuche auf den Schauplatz an und durchkämmten dann die Nachbarschaft, während die Männer ihre Arbeit machten. Eine Frau, die in der Straße wohnte, sagte uns, dass sie möglicherweise einen Jungen schreien gehört, aber nicht nach draußen gesehen habe, um festzustellen, was da vorging. Sonst hatte niemand etwas gesehen oder gehört.
Gott, wie gern hätte ich das Kennzeichen dieses Autos gehabt.
Als ich aufs Revier zurückkam, bat ich Carl um sein Hemd. Die Chance, Fingerabdrücke zu finden, war zwar ziemlich gering, aber vielleicht hatten wir ja Glück – an diesem Tag schien das Glück ziemlich präsent zu sein, vor allem in Carl Thorsens Welt. Das Hemd sah dafür, dass es ein Handgemenge mitgemacht hatte, schrecklich sauber und unzerknittert aus – keine Risse, keine durchgescheuerten oder gedehnten Stellen, soweit ich das erkennen konnte.
Die Mutter traf ein; für ein paar Minuten ließ ich sie mit ihrem Jungen allein, bevor ich mich zu den beiden ins Zimmer
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