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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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laut zur Ordnung, aber es half nichts: Aufgebracht durch Madames Fluch, wollte nun auch die Menge zu Wort kommen. In den aufgeregten Jubel mischte sich das schmerzvolle Jammern derjenigen, die gelitten hatten, und dann wurden weitere Verwünschungen ausgestoßen. Vor einem Bischof war das eine Ungeheuerlichkeit, den eigenen Landesherrn zu schmähen grenzte fast schon an Ketzerei. Und obwohl es mir nur recht und billig erschien, dass jene, denen Milord Unrecht getan hatte, bei der Findung des Urteils, das schließlich gegen ihn gesprochen würde, zu Wort kommen sollten, war dieser Jubel und dieses Geschrei kaum mehr als eine Geste. Das letzte Wort würde das Wort Gottes sein, ausgesprochen von Seinem Diener Jean de Malestroit.
    Obwohl umringt von Wachen, wich Madame nicht von der Stelle und starrte Jean de Malestroit vorwurfsvoll an, jenen Mann, der ihre ursprüngliche Klage hatte abweisen wollen, und ihr Blick schien zu sagen: Ich verfluche auch Euch, weil Ihr meiner Klage keine Beachtung schenktet, und alle Heiligen wissen, dass Ihr es verdient habt.
    Er wurde wie ein Stein, ausdruckslos und hart, als hätte er in sich keinen Gedanken. Die Wachen wollten sie ergreifen, doch er winkte sie weg. Er räusperte sich leise und sagte: »Ihr könnt zurücktreten, Madame, wenn Ihr gesagt habt, was Ihr zu sagen hattet.«
    Den Blick noch immer starr auf ihn gerichtet, raffte Madame le Barbier ihre Röcke und trat zurück. Als sie sich wieder unter die versammelten Zeugen mischte, wurde es plötzlich und ohne erkennbaren Grund heißer im Raum, als wäre alle Luft von einer riesigen Kreatur eingesaugt worden, die eben den Tiefen eines Sees entstiegen war. Männer öffneten ihre Krägen, Frauen fächelten sich Luft zu, um nicht ohnmächtig zu werden. Jean de Malestroit erhob sich halb von seinem Richtersessel und befahl nachdrücklich, das Fenster zu öffnen. Metallene Angeln kreischten, als das selten benutzte Fenster vom Gerichtsdiener nach innen gekippt wurde.
    Ein kalter Wind strömte herein, der ebenso außergewöhnlich war wie die bedrückende Hitze. Bevor Madame Gelegenheit hatte, ihren Platz wieder einzunehmen, flatterte eine große schwarzblaue Krähe durch die Öffnung und schwebte über der Versammlung. Sie starrte böswillig mit ihren kleinen gelben Augen nach unten und schlug mit den Flügeln. Ein Raunen der Bestürzung ging durch den Raum. Inmitten der Menge sprang eine Frau erschrocken auf und sank dann ohnmächtig gegen ihren Begleiter. Der verwirrte Vogel suchte sich den höchsten Landeplatz, der im Augenblick Madame le Barbiers Kopf war. Mit scharfen Klauen krallte er sich, verzweifelt Halt suchend, in ihre Haare.
    Sie schrie auf, wirbelte herum und versuchte mit fliegenden Armen, die Krallen aus ihren Haaren zu zerren. Die Menge wich entsetzt zurück. Ein Mann stand auf, deutete mit drohendem Finger auf den schwarzen Eindringling und rief: »Es ist der Teufel selbst.«
    Nun begann das wahre Klagegeschrei. Leute standen auf, um zu fliehen, doch sie waren in der lärmenden Masse gefangen. Seine Eminenz, die sich nun ganz erhoben hatte, schlug immer und immer wieder mit seinem großen Hammer auf den Tisch, in dem verzweifelten Versuch, dem Aufruhr Einhalt zu gebieten.
    Ich stand auf und eilte meiner leidenden Genossin zu Hilfe. Das Gesicht von dem schwarzen Gefieder abgewandt, packte ich den Vogel und drückte ihn nach oben. Nun griff er mich mit seinem scharfen Schnabel an – Blut strömte aus der tiefen Wunde, die er mir riss. Schließlich eilten uns andere zu Hilfe, und gemeinsam gelang es uns, den Vogel von seinem schreienden Opfer loszureißen. Nun wieder befreit, rauschte der Vogel in die Höhe des Kapellendachs und flatterte dort in böswilliger Erregung umher. Wir alle duckten uns ängstlich, als der schwarze Teufel, die Klauen suchend ausgestreckt, wieder herabstieß. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Schreie der Menge ihn wieder durch die Öffnung und hinaus in die Freiheit des Himmels jagten.
    De Touscheronde stürzte zum Fenster und schlug die beiden Flügel mit solch donnernder, klirrender Kraft gegen den Rahmen, dass ich schon meinte, es würde zerbrechen, doch irgendwie hielt der eiserne Rahmen, und das farbige Glas – mit geschmolzenem Blei so kunstvoll zusammengefügt – blieb ebenfalls heil.
    Wie hätte meine Mutter geweint, hätte sie das zarte weiße Taschentuch, vom Blut ihrer Tochter durchtränkt, gesehen. Ich hielt meine Hand umklammert, während alle um mich herum laut

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