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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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aufstöhnten und einander tröstend umarmten. Männer wie Frauen beteten und bekreuzigten sich, einige ziemlich heftig, um den bösen Geist zu vertreiben, der auf diesen schwarzen Schwingen hereingeflogen war.
    Hatte Milord de Rais diesen Dämon geschickt, um Madame le Barbier zu peinigen und mit ihr uns alle? Oder war sein plötzliches Auftauchen nur ein Zufall? Keiner von uns konnte das mit Sicherheit sagen. Aber alle waren wir zu Tode erschrocken.
     
    Die Krähe war längst verschwunden, aber der Aufruhr hielt an und machte damit jegliche Fortführung der Verhandlung unmöglich – Madame le Barbier würde die letzte Zeugin dieses Nachmittags sein. Seine Eminenz beendete die Sitzung dieses Tages, indem er hastig einige amtliche lateinische Formeln der lärmenden Menge entgegenschrie. Dann nickte Jean de Malestroit dem Hauptmann der Wache zu, der seinen Untergeben ein kurzes Zeichen gab. Wie ein Mann begannen sie nun, mit den Enden ihrer Lanzen auf den Steinboden zu klopfen, doch der Tumult ließ nicht nach, sondern nahm an Heftigkeit noch zu. Bald wurden die Schreie von Händeklatschen begleitet, das sich dem Takt der hämmernden Lanzen anglich.
    Wahnsinn und Chaos überall. Ich sah Jean de Malestroit noch einmal seinem Hauptmann zuwinken, der seinen Wachen nun den Befehl gab, das Lanzenklopfen einzustellen. Dann wurden diese Lanzen dafür verwandt, die Menge aus der Kapelle zu schieben. Der rhythmische Lärm verebbte schließlich, während die Menschen grummelnd zur Treppe strömten.
    Die Einsprüche jener, die erst noch gehört werden mussten, waren laut und schrill, als hätte jeder von ihnen das Gefühl, dass gerade seine Geschichte die Richter von Milords Schuld überzeugen würde. Ich hatte großes Mitgefühl mit diesen Enttäuschten, doch angesichts des bereits Gehörten konnte ich mir nicht vorstellen, dass noch ein Bericht mehr sehr viel ausmachen würde.
    Ich schaute in Jean de Malestroits Richtung; er erkundigte sich mit einem schnellen Blick nach der Schwere meiner Verletzung, worauf ich mit einem schnellen Achselzucken antwortete. Am nächsten Morgen würde sie mir Schmerzen bereiten, im Augenblick jedoch nicht. Nachdem diese Sorge ausgeräumt war, nahm sein Gesicht einen Ausdruck äußerster Wut an. In seinem Herzen würde er sich dafür tadeln, dass er diesen Tumult überhaupt zugelassen hatte, obwohl er doch offensichtlich Gottes oder des Teufels Werk war. Ihn traf auf jeden Fall keine Schuld. Dennoch würde er sich Vorwürfe machen. Ich sah zu, wie er die Kapelle durch eine Seitentür verließ, so schnell, dass seine Robe sich hinter ihm bauschte.
    Frère Demien und ich gingen zusammen mit dem Rest derer, die in der Kapelle gewesen waren, hinaus. Wir kamen gut voran; die Zeugen schienen alle sehr erpicht darauf zu sein, möglichst schnell auf den Vorplatz zu kommen, denn es gab Geschichten zu erzählen. Die Menge, die uns erwartete, schien sich seit unserer letzten Pause fast verdoppelt zu haben. Schon jetzt machte ein Gerücht um schwarze Hexerei – befördert auf den Flügeln einer Krähe – die Runde, und ich konnte die Übertreibungen hören, mit denen es von einem zum anderen weitergegeben wurde.
    Ihre Flügel waren so groß wie die eines Storchs.
    Diese Augen – sie waren so menschlich!
    Wenn sie den Schnabel öffnete, sprach sie in Zungen!
    Die Ausschmückungen würden weitergehen, bis aus der Krähe ein geflügelter Drache mit blutigen Klauen, grünen Schuppen und dämonischen gelben Augen wurde, die einem mit einem Blick die Seele durchbohren konnten. Man würde behaupten, er hätte Blut auf seinem Schnabel gehabt, ich allerdings wusste, dass es das meine war. Doch dieser Eindringling war mit mehr als meinem Blut davongeflogen – er hatte auch alle Hoffnung mit sich genommen, dass Gilles de Rais’ Prozess und seine letztendliche Bestrafung auf ruhige und ordnungsgemäße Art durchgeführt werden könnten und dass uns das Chaos erspart bliebe, welches dieses Verfahren zu trüben drohte. Nun war schon zu viel des Teufels darin, als dass Gottesfurcht und Vernunft sich noch hätten durchsetzen können.

26
    Carl Thorsen war ein reizender blonder Engel, wie die meisten seiner Vorgänger. Carl war kein kleiner Junge – er war ziemlich hoch aufgeschossen, aber schlank und zartknochig. Bei seiner Einschätzung hatte ich einen Vorteil, den ich zuvor noch nicht gehabt hatte: Ich sah ihn als lebendigen Menschen. Fotos sind einfach nicht das Wahre und auch Videos nur ein schwacher Ersatz, wenn

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