Die Schreckenskammer
kein Mediziner.«
»Man nennt Sie doch ›Doc‹, oder? Das genügt für diesen Zweck vollkommen.«
»Okay«, sagte er. »Ich bin gleich da. Aber lassen Sie sich von dieser kleinen Abweichung in seinem Verhalten nicht in die Irre führen. Er wird es auch wieder richtig machen, und wahrscheinlich bald.«
»Bis dahin habe ich ihn im Gefängnis.«
»Glauben Sie?«
»Ich weiß es.«
Wie versprochen traf Doc ungefähr fünfzehn Minuten später ein.
Wir hatten jede der drei Gruppen in einem separaten Zimmer untergebracht. Die Sekretärinnen beklagten sich, dass sie Getränke und Essen für die Jungen und ihre Familien besorgen mussten, was ich, die unsensible Detective, ihnen so gedankenlos angeboten hatte. Der Laden ist schon bald ein verdammtes Holiday Inn, hörte ich eine von ihnen sagen.
Was, wenn es ihr Sohn gewesen wäre?
Bevor wir in die einzelnen Zimmer gingen, nahm Doc mich beiseite. »Die Jungs sollten sich so wohl fühlen, wie es nur geht, wenn wir das jetzt machen«, sagte er. »Muss einer von ihnen gesäubert werden?«
Ich verstand nicht.
»Zeigte einer von ihnen eine körperliche Reaktion auf den Entführungsversuch, nicht kontrollierbare Darmentleerung oder unvorhergesehenes Urinieren zum Beispiel?«
»Nicht, soweit ich das feststellen konnte, als sie reinkamen.«
»Schön. Das ist ein gutes Vorzeichen.«
Wir stellten uns vor und sprachen kurz mit jedem Kind getrennt. Zurück an meinem Schreibtisch hatte ich das Gefühl, mit Steinmauern gesprochen zu haben.
»Sie sagen nicht viel«, bemerkte ich ziemlich unglücklich.
»Wahrscheinlich machen sie zu, weil ihre Eltern dabei sind. Also müssen wir ohne Eltern mit ihnen reden«, schlug Doc vor.
»Wäre das im Augenblick vernünftig? Sie haben alle viel durchgemacht. Man sollte doch meinen, dass sie sich sicherer fühlen, wenn ihre Eltern dabei sind und sie unterstützen.«
»Sie befinden sich im Augenblick in einem Zustand äußerster Verletzlichkeit, und der ist dem posttraumatischen Stresssyndrom sehr ähnlich. Diese Jungs sind keine starken Soldaten. Sie haben bei weitem nicht die Bewältigungsmechanismen, wie Erwachsene sie haben.«
»Warum sollten wir sie dann von etwas trennen, das ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt? Würde es ihnen ohne die Eltern denn nicht noch schlechter gehen?«
»Vielleicht. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber eins weiß ich sicher: Sie nehmen alle an, dass ihre Eltern wegen dieser Geschichte wütend auf sie sind. Was meinen Sie, wie oft jeder von ihnen schon gehört hat: Rede nicht mit Fremden. Wahrscheinlich schon hundert Mal. Und wie kam es zu dieser ganzen Sache? Durch einen Fremden.«
Er hatte Recht. Evan wäre gedemütigt, wenn er einer Sache zum Opfer gefallen wäre, vor der ich ihn immer wieder gewarnt hatte; er würde sich völlig vor mir verschließen.
»Sie sind allerdings alle zu jung, um die typische Schuld von Überlebenden zu empfinden«, fuhr er fort. »Vielleicht später, aber im Augenblick ist das, glaube ich, irrelevant. Oft gibt es verzögerte Auswirkungen; manchmal zeigen Sie sich jahrelang nicht. Natürlich gibt es Behandlungsmethoden …«
Ich bremste ihn. »Die Lehrstunde später, Errol. Im Augenblick brauche ich Sie in dieser Sache an meiner Seite, aber überlassen Sie mir die Führung. Ich könnte allerdings ein paar Vorschläge gebrauchen, wie wir die Theorie in die Praxis umsetzen können.«
Ein bisschen eingeschüchtert, sagte er: »Vielleicht sollten wir einfach mit allen dreien in einem Zimmer, aber ohne Eltern, anfangen und schauen, was dabei herauskommt. Wir müssen allerdings aufpassen, dass sie nicht das Gefühl bekommen, sie würden verhört.«
Die Eltern hatten nichts dagegen, aber mit den Jungs lief es nicht so gut, wie wir es gern gehabt hätten. Alle drei zappelten, als hätten sie Frösche in den Taschen; ihre Beine baumelten und zuckten. Sie schmollten, als wäre dies eine Art Gruppenbestrafung.
Erkinnen nahm mich beiseite und flüsterte: »Wir müssen irgendwie diese Klassenzimmer-Atmosphäre beseitigen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen pervers, aber wir müssen es so hinbiegen, dass es ihnen Spaß macht.«
Was mochten Jungs außer Monstern?
Autos.
»Sie bleiben hier«, sagte ich ihm. »Ich glaube, ich kenne den Trick.«
Spence borgte sich eine Kappe von einem der Streifenpolizisten und spielte den Chauffeur. Doc und ich stiegen zusammen mit den drei Jungen in den Fahrgastraum. Die konfiszierte Mercedes-Stretch-Limousine, ein
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