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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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nicht.«
    Er pfiff auf zwei Fingern. Alle drei Jungs drehten sich um, und auf sein Winken hin kamen sie zu uns gelaufen. Der universelle Papa, ein sicherer Hafen.
    »Ach, übrigens«, sagte er, »gute Arbeit.«
    Ich kehrte nur ins Revier zurück, um die Jungs bei ihren besorgten Eltern abzuliefern. Zwar hatte ich allen drei Familien Folgegespräche angekündigt, wusste jedoch, es würde eine Weile dauern, bis ich dazu kam – es war noch so viel anderes zu erledigen. Aber bevor ich irgendetwas tat, musste ich nach Hause. Dort würde ich Normalität finden, von der Art, wie man sie nur als Mutter erlebt. Kevin war mehr als einverstanden, sie zurückzubringen, was mir die Mühe ersparte, zu seinem Haus zu fahren. Er hatte auch seine guten Seiten. Ich musste unbedingt in der süßen, warmen, chaotischen Normalität meiner zwei Töchter und meines Sohnes baden. Sie wussten über meine Arbeit Bescheid und über die Auswirkungen, die sie manchmal auf mich hatte; an so vielen Abenden war ich, besudelt mit der Schlechtigkeit dieser Welt, nach Hause gekommen. Sie schlichen auf Zehenspitzen um mich herum, wenn ich völlig verzweifelt war nach der Verhaftung eines Jugendlichen für ein Verbrechen, das die meisten Erwachsenen sich kaum vorstellen konnten, ein Ereignis, das sich allzu oft wiederholte.
    Frannie, meine Sensible, war die Erste, die meine Niedergeschlagenheit spürte.
    »Alles in Ordnung, Mom?«, fragte sie.
    Ich strich ihr einige Haarsträhnen aus der Stirn. Sie ließ sich gerade einen Pony wachsen, und das war zu einem kleinen Spiel zwischen uns geworden.
    »Alles in allem, Liebling, bin ich ganz okay.«
    Sie war noch nicht überzeugt. »Hast du in der Arbeit viel zu tun?«
    »Dir kann man nichts vormachen, was?«
    »Warum solltest du mir was vormachen wollen?«
    Ja, warum – um ihr Dinge zu ersparen, die sie noch nicht verstehen müssen sollte. »Leider«, sagte ich ihr, »wird es erst noch schlimmer, bevor es besser wird.«
    »Ich kann dir bei der Hausarbeit helfen«, bot sie an. In ihrer lieben Stimme war echtes Mitgefühl.
    Ich hasste es, wenn mein Stress in der Arbeit ihr das Gefühl gab, sie müsse Erwachsenenpflichten übernehmen, obwohl sie noch ein Kind war.
    »Keine Hausaufgaben heute Abend«, sagte ich zu ihnen allen. »Ich schreibe euch Entschuldigungen für eure Lehrer. Heute Abend spielen wir.«
    Jubel wurde laut. Videospiele, Popcorn, Eiscreme, laute Musik, Kissenschlachten; wir taten alles, was für jene Dekadenz bedeutet, die einfach noch zu unschuldig sind, um zu wissen, was das wirklich ist. Mein mürrischer Sohn, der so distanziert sein konnte, wenn die Laune ihn überkam, war unerklärlich freundlich.
    Die Mädchen gingen gegen zehn ins Bett. Evan schien noch aufbleiben und mit mir herumhängen zu wollen, was mich fast zu Tränen rührte. Wir legten Apollo 13 ein, spulten bis zu den guten Stellen vor und hörten im Hintergrund Frannie und Julia durch die geschlossene Tür ihres gemeinsamen Zimmers kichern. Manchmal hatte ich den Eindruck, Evan fühlte sich aufgrund seiner Chromosomen ausgeschlossen. Heute schien es ihm nichts auszumachen. Er hatte die Mutter ganz für sich allein.
    Es war kaum zu glauben, dass er sich bei der dramatischen Wiedereintrittsszene an mich kuschelte.
    »Mom«, sagte er zaghaft.
    »Ja, Liebling …«
    Ich spürte, wie seine Schultern sich verkrampften. Er mochte es nicht, wenn ich ihn Liebling nannte. Ich drückte ihn kurz an mich und sagte: »Tut mir Leid, Evan. Ich vergesse es, wenn ich abgelenkt bin. Was ist denn?«
    »Du bist nicht mehr viel zu Hause.«
    Ein Messerstich ins Herz. »Ich weiß, und das tut mir Leid. Ich habe im Augenblick einen Fall, der mich viel länger in der Arbeit hält, als mir lieb ist.«
    Er wurde neugierig. »Worum geht’s denn?«
    Sollte ich es ihm sagen? Immerhin konnte ich nicht voraussehen, was mein Bericht bei ihm bewirken würde. Ich beschloss, so allgemein wie möglich zu bleiben. »Es ist ein sehr schlimmer Fall, Sohn. Einige Jungs sind verschwunden. Alle ungefähr in deinem Alter. Einige sind schon sehr lange weg, und ich habe die Befürchtung, dass sie tot sind.«
    Er überlegte einige Augenblicke und fragte dann: »Und wie geht’s voran?«
    Die Frage überraschte mich, aber ich antwortete ihm, wie ich einem Erwachsenen geantwortet hätte. »Es ist sehr frustrierend«, sagte ich ihm. »Das kommt in meinem Job allerdings manchmal vor. Ich habe schon eine ganze Weile einen Verdächtigen, aber bis vor kurzem hatte ich nicht

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