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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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zukommen, er werde den Abend in Gesellschaft von De Touscheronde und Bruder Blouyn verbringen, da sie den Ablauf des nächsten Prozesstages besprechen müssten. Ich nahm mein Abendessen mit anderen Damen des Klosters ein, die um meine verletzte Hand einen Wirbel machten wie ein ganzer Schwarm von Ärzten. Obwohl es nach diesem Tag viel gab, das ich mit Seiner Eminenz gern besprochen hätte, muss ich gestehen, dass die Gesellschaft von Frauen für mich eine angenehme Abwechslung von dem rein männlichen Umgang war, den ich in letzter Zeit gehabt hatte. Wir versammelten uns an dem langen Tisch im großen Saal des Klosters. In all den Jahren hier hatte ich noch nie so hastige Bekreuzigungen gesehen: schnell die Hand an die Stirn, wisch, wisch über die Brust, und dann fing das Tuscheln über die Intrigen des Tages an. Doch in ihrem Geplauder war nichts von der Verzweiflung, die ich auf dem Kirchplatz gehört hatte, und ihr Fehlen war für mich so stärkend wie das Mahl, das vor uns stand. Danach kehrte ich erfrischt in meine Kammer zurück und fand dort die zusätzliche Gnade der Einsamkeit.
    Einsamkeit, Nachdenken. Eins folgte dem anderen ganz natürlich. Und worüber sollte ich nachdenken, wenn nicht über die Dinge, die ich in Champtocé erfahren hatte? Was sollte ich enthüllen, wenn überhaupt etwas – und wem? Seit vierzehn Tagen hatte ich meinem Sohn nicht mehr nach Avignon geschrieben, obwohl ich in dieser Zeit von ihm zwei Briefe erhalten hatte, beide voll herzlichen Gefühls für mich und großer Neugier auf den Fortgang unserer Intrige. Ich wollte ihm antworten mit einem Bericht über den bisherigen Verlauf des Prozesses, aber wie konnte ich diesen zu Pergament bringen, ohne ihm zu erzählen, dass ich jetzt das Schicksal seines Bruders kannte und dass ein schrecklicher Verdacht sich in meiner Seele eingenistet hatte?
    Geliebter Sohn, wir hatten einen Besuch vom Teufel selbst in Gestalt einer Krähe. Und dein Bruder wurde ausgeweidet, aber nicht von einem Keiler …
    Mir gelang kein befriedigender Anfang. Nach einer Weile ergab ich mich meiner Schreibunfähigkeit und wandte mich der Stickerei zu, was mich allerdings mehrere Kerzen kostete. Doch mit jedem Faden, der durch den Stoff gestoßen und festgezurrt wurde, kam ich einem Entschluss näher. Als ich zwischen die Laken schlüpfte, hatte ich Entschiedenheit, wenn auch nicht Frieden, im Herzen.
    Am nächsten Morgen begann alles von neuem. De Touscheronde eröffnete die Sitzung mit einer weiteren Zeugin, deren Kind verschleppt worden war.
    Frère Demien flüsterte mir zu: »Diese Geschichten bringen inzwischen eher Gähnen als Tränen hervor. Wie viele müssen wir denn noch hören?«
    Ich zuckte die Achseln; die weinende Frau kehrte an ihren Platz zurück. De Touscheronde schritt zur Richterbank, wo er sich mit Jean de Malestroit und Bruder Blouyn in ernstem Flüsterton über ein rechtliches Problem beriet. Nach einem zustimmenden Nicken wandte De Touscheronde sich wieder der Versammlung zu. Er rief den Namen Perrine Rondeau auf. Eine Frau, die ich bereits in der Menge des gestrigen Tages gesehen hatte, stand von ihrem Platz in einer der vorderen Reihen auf und berichtete.
    Mein Gatte ist seit vielen Jahren immer wieder krank, und zu einer Zeit, als es ihm besonders schlecht ging, nahm ich Untermieter in unserem Haus auf, um ein besseres Auskommen zu haben. Mein Mann schämte sich deswegen sehr, aber ich wollte natürlich nichts davon hören, dass er arbeitete. Der Marquis de Ceva und Monsieur François Prelati waren im oberen Stock untergebracht; ich selbst schlief auch da oben, allerdings für gewöhnlich in einem bescheideneren Zimmer. Eines Abends war ich so aufgeregt, weil ich dachte, ich würde meinen Mann verlieren, dass meine Bedienerin mich in dem Zimmer unterbrachte, das Prelati und der Marquis gemietet hatten – sie dachte, dass die guten Betten mir eine Wohltat wären. Die Herren waren nach Machecoul gegangen, und wir alle dachten, sie würden dort übernachten. Aber der Marquis und Monsieur Prelati kehrten später an diesem Abend doch noch zurück, beide ziemlich sinnlos betrunken. Als sie mich in dem besseren Zimmer vorfanden, auf das sie meinten einen Anspruch zu haben, ob nun berechtigt oder nicht, erregten sie sich sehr.
    Ich war in einem elenden Zustand, das muss ich zugeben; dennoch hatten sie kein Recht, mich so zu behandeln, wie sie es taten. Zuerst beschimpften sie mich aufs Übelste, und dann packten sie mich, einer bei den Händen,

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