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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Sie, in welchem Alter mochte das Kind gewesen sein, das dieses Hemd getragen hatte?«
    »Oh, sehr jung. Ein so kleines Kind kann nicht viel älter als sieben oder acht Jahre gewesen sein.«
    Michel mit sieben Jahren tauchte vor meinem inneren Auge auf. Er stieg auf den Schoß meiner Erinnerung und schlang die kleinen Arme um meinen Hals.
    »Bestien«, flüsterte ich. »Unheilige Bestien.«
    »Ja, Mutter«, sagte Perrine.
    Ich dankte ihr so höflich, wie ich konnte, für ihre Ausführungen, drehte mich dann um und ging durch das Lager. Der ungezackte Saum meines Gewands schleifte durch den Staub. Jetzt waren noch mehr Menschen hier als zuvor bei meiner Ankunft. Und jeder Einzelne schien mich anzustarren.
    Als ich in den Palast zurückkehrte, hatte Jean de Malestroit seine Gemächer bereits verlassen, um in die Kapelle zu gehen, ich würde also erst später erklären müssen, wo ich gewesen war. Bis auf Frère Demien, der aus den Gemächern kam, als ich eben wieder gehen wollte.
    »Wo wart Ihr denn?«, wollte er wissen. »Ich habe mir Sorgen gemacht! Seine Eminenz hat sich auch schon nach Euch erkundigt. Und wir kommen zu spät zum Prozess.«
    Und verpassen so eine weitere Leidensgeschichte. Ich bemühte mich, ein wenig enttäuscht zu sein, konnte es aber nicht. »Ich besuchte das Zeltlager, um Perrine Rondeau zu suchen«, sagte ich.
    Als wäre ich besudelt, bekreuzigte sich der junge Priester und flüsterte einen schnellen Segen. »Aber warum?«
    »Ich wollte sie etwas fragen, Bruder. Ich wollte mehr über das Hemd erfahren, das sie gesehen hatte.«
    Ihm musste ich nicht erklären, warum mich das interessierte; Frère Demien hatte Guillaume Karies Geschichte ja gehört. Stattdessen setzte er zu einer ärgerlichen Schmährede gegen die arme Frau an. »Sie hat die Schüttellähmung, Schwester, und der Einfluss des Satans könnte noch immer in ihr sein – immerhin zuckte sie wie ein Zigeuner bei ihrer gestrigen Aussage.«
    »Ich glaube, es ist ihr gelungen, sich von allem Bösen zu reinigen, das sie gestern befallen hatte. Als ich sie fand, tat sie etwas, was unser Retter Jesus Christus einst tat – sie gab den Armen zu essen.«
    »Der Satan kann einen mit falscher Güte in die Irre führen. Er zeigt einem das Licht und führt einen in die Dunkelheit. Er berauscht einen mit falschen Versprechungen und verführt einen zu dem Glauben …«
    »Genug«, sagte ich und kreuzte die Arme vor der Brust. »Man könnte meinen, Ihr übt für die Mitra, Bruder.«
    »Man muss kein Bischof sein, um von den Schandtaten des Satans zu sprechen.«
    »Aber es ist sicherlich nicht von Nachteil. Fürchtet nicht um meine Seele«, sagte ich. »Ich bin unversehrt zurückgekehrt.«
    »Nun, ich hoffe, Ihr habt wenigstens befriedigende Antworten erhalten.«
    »So sehr, wie das im Augenblick möglich ist, fürchte ich.« Denn wie es oft geschieht, führten die Antworten, die sie mir gegeben hatte, nur zu weiteren Fragen. Ich würde mich woanders hinwenden müssen, um auch auf diese befriedigende Antworten zu finden.
     
    Nachrichten über das, was vor Gericht gesagt wurde, verbreiteten sich in den Zeltlagern und den umliegenden Dörfern, als gäbe es ein unsichtbares Band, auf dem sie befördert wurden. Niemand sprach von etwas anderem, aber so ist das immer – wir riechen Gottes Rosen nicht, wenn Mist unsere Nasen verführt. Am vergangenen Nachmittag hatte ich das Rauschen von Flügeln gehört, und als ich aufschaute, sah ich einen kleinen Schwarm Tauben, der einen der Türme umkreiste. Einige Augenblicke flatterten sie verwirrt herum, bevor sie davonflogen, jede in eine andere Richtung, aber kaum waren diese Vögel verschwunden, wurde ein anderer Schwarm freigelassen. Bald würden in ganz Frankreich und der Bretagne Könige, Edelleute und Kirchenmänner diese kleinen papiers lesen, auf denen die wichtigen Nachrichten standen. Tags darauf würden die Vögel sicherlich schon in Avignon sein, und mein Sohn, dessen liebende Worte ich schändlicherweise noch immer nicht erwidert hatte, würde über den Stand der Dinge auf dem Laufenden sein.
    »Herzog Jean wird dringend auf Nachricht warten«, sagte Frère Demien, während die Vögel kleiner und kleiner wurden und schließlich ganz verschwanden.
    »Er wartet begierig auf Milords Sturz«, erwiderte ich, »doch es scheint, dass der auch unabhängig von seinem Verlangen nicht mehr lange auf sich warten lassen wird. Ich frage mich, wann der Herzog sich hier zeigt. Er hätte wohl gern mit dieser ganzen

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