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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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hätte, mich mit einer Frage anzuhalten. Man würde annehmen, ich hätte etwas Bedeutsames zu erledigen und dürfte nicht gestört werden.
    Wie wunderbar, wie verschieden vom Kloster mit seinen steinernen Mauern und der Heiligkeit, die sie durchwehte. Obwohl in dem Palast ein Bischof lebte, war dieser doch manchmal auch Kanzler und hätte umgeben sein sollen von schönen Dingen, Gegenständen, die ihn täglich an die Bedeutung seiner Arbeit erinnerten. Dennoch war dessen Unterkunft nur leidlich im Vergleich zu den Räumlichkeiten, an die Milord Gilles sich gewöhnt hatte.
    Als ich dann der Wache vor seinen Privatgemächern gegenüberstand und sagte, ich hätte eine Botschaft von Jean de Malestroit, kam niemand auf die Idee, dies in Frage zu stellen. Seit Wochen sahen diese Männer, wie ich still zwei Schritte hinter meinem Bischof einherging, und sie hatten keinen Grund, meine Aussagen anzuzweifeln. Mein Auftreten war fromm und demütig; ich sagte Ihnen, Jean de Malestroit habe mir die wichtige Aufgabe übertragen, Milord in diesen Stunden der Dunkelheit ein wenig Trost und Erleichterung zu bringen. Ich hielt meinen Rosenkranz fest zwischen den flachen Händen und lud die Wache ein, mit mir für Milords gefallene Seele zu beten. Der Mann ließ mich augenblicklich durch; ich glaube, um die Unbehaglichkeit abzuschütteln, die ich ihm mit meinem vorgetäuschten religiösen Eifer verursacht haben musste.
    Er rief einen scharfen Befehl einem anderen Posten zu, dessen Miene ernst wurde, als er hörte, dass er mich den Gang entlang zu den Gemächern führen sollte, in denen Milord untergebracht war.
    Der Mann, der mich führte, ging mit schnellem Schritt. Ich konnte ihm seine offensichtliche Furcht nicht zum Vorwurf machen – mit jedem Schritt, den wir uns den inneren Gemächern näherten, schlug auch mein Herz ein wenig schneller.
    Fragen nach dem, was alles geschehen konnte, beschlichen mich, und einige Schritte lang fragte ich mich, warum ich diese Begegnung nicht vor meinem Kommen sorgfältiger durchdacht hatte. Als ich in den großen Salon geführt wurde, verspürte ich das starke Verlangen, mich umzudrehen und davonzulaufen.
    Aber ich konnte nicht. Ich atmete tief durch, um die wilden Tiere zu besänftigen, die an meinen Eingeweiden rissen und zerrten. Die Umgebung half mir – ich befand mich in einem geräumigen Zimmer, hübsch verziert mit Tapisserien und Webereien und dick ausgelegt mit mehreren der wunderschön gemusterten Teppiche, die auf Handelsschiffen quer über das Mittelmeer kamen. Während ich noch verwundert starrte, klopfte die Wache dreimal mit dem Ende seiner Lanze auf den Boden und nahm dann Haltung an. Aus einem anderen Zimmer hörte ich Milord bellen: » Was gibt’s? « Plötzlich verließ mich aller Mut.
    In einem der Anatomiebücher des jungen Gilles in Champtocé hatte ich die Darstellung des Herzens eines Mannes gesehen. Le Cœur lautete die Unterschrift unter der Zeichnung. Sie war wunderbar und so schlicht, aber es kam mir merkwürdig vor, dass das Herz eines Menschen zwei Seiten hatte. Welchem Zweck konnte es dienen, dass man zwei voneinander getrennte Gänge hatte, durch die unsere Gefühle strömen mussten?
    In diesem Augenblick begriff ich es: Eine Seite meines Herzens war völlig angefüllt mit Zorn und Rachgier, die andere mit maßlosem Kummer.
    Ängstlich verkündete die Wache: » Vous avez un visiteur, Milord. Une dame. « Dann kehrte er hastig auf seinen Posten zurück.
    Kaum war er verschwunden, nahm ich meinen Schleier ab und zog den Umhang aus. Ich warf beides auf einen nahen Sessel, ein erlesenes Möbelstück, auf das ich mich nie zu setzen gewagt hätte. Hier stand ich also, eine gewöhnliche Frau, als Milord den Salon betrat. Zuerst näherte er sich mir langsam, bis das Licht des Wiedererkennens über sein Gesicht kroch.
    »Madame«, sagte er. »Ach, Madame … Verzeiht mir, dass ich Euch nicht gleich erkannt habe. Ihr müsst verstehen, dies alles ist eine schwere Prüfung – und ich bin es ja nicht mehr gewohnt, Euch in Frauenkleidern zu sehen.«
    Dann wich er ein wenig zurück, die Augen voller Argwohn. »Hat Jean de Malestroit Euch geschickt, um in seinem Namen mit mir zu sprechen? Dass er ein Weib schickt, um seine Arbeit zu machen …«
    Ich schnitt ihm das Wort ab. »Er hat mich nicht geschickt. Er dürfte sehr verstimmt sein, sollte er herausfinden, dass ich Euch aufgesucht habe.«
    »Oh«, sagte er mit aufflackernder Neugier. »Von mir wird er es gewiss nicht

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