Die Schreckenskammer
man ihm vorwirft.
Ich hätte wohl entsetzter sein müssen angesichts dieses Geständnisses, doch aus welchem Grund auch immer wurde dieses Entsetzen überdeckt von der gesegneten Erleichterung zu wissen, dass er nicht der Mörder meines Sohnes und deines Bruders ist. Doch seine eigene Seele kennt keine Linderung; er ist verzweifelt und heimgesucht von Verwirrung und Schmerz, wie ich es noch bei keinem Menschen erlebt habe und nie wieder zu erleben hoffe. Ich drängte ihn, morgen, wenn er wieder vor seine Richter treten muss, seine Verbrechen öffentlich zu gestehen. Ich bete inbrünstig darum, dass er es auch tun wird, denn nur in der Absolution wird er Trost finden.
Du wirst zweifellos verstehen, dass unsere Reise sich nun verzögert; ich hoffe, dass wir noch aufbrechen können, bevor das Wetter zu kalt wird für ein vernünftiges Reisen. Doch falls wir erst aufbrechen, wenn das Wetter umschlägt, werden wir vielleicht gezwungen sein, im warmen Süden zu bleiben. Ich kann mir keine angenehmere Art vorstellen, dem kalten bretonischen Winter zu entfliehen, als ihn in Avignon zu verbringen.
Mein liebster Sohn, gedenke meiner in deinen Gebeten, wie ich es in meinen tue. Nun glaube ich allmählich wieder, dass Gott mich wirklich erhört. Erst heute habe ich erkannt, wie sehr mein Glaube mir fehlte.
Und auch du fehlst mir, geliebter Sohn. Ich bin so froh, dass wir uns schon so bald sehen werden.
Mein letzter Blick, bevor ich einschlief, ging zu dem blauen Kleid, das an meiner Tür hing. Es war jenen nicht unähnlich, die ich als Eheweib und Mutter in Champtocé getragen hatte. In dieser Nacht träumte ich davon, neben meinem Mann zu liegen und seine zärtlichen Hände auf mir zu spüren. Als man ihn von Orléans zurückbrachte, hatten seine Verletzungen bereits zu schwären begonnen, und seine Schmerzen waren so stark, dass es ihm unerträglich gewesen wäre, wenn ich zufällig sein Bein berührt hätte. Deshalb machte ich mir ein eigenes Bett neben dem seinen. Wie ich mich danach gesehnt hatte, nur noch einmal vor seinem Tod zu ihm unter die Bettdecke zu schlüpfen. Zum Ende hin war sein Delirium so stark, dass er es gar nicht bemerkt hätte, wäre ich ganz nah bei ihm gewesen. Aber ich hätte es gemerkt.
Ich schlief bis nach dem Morgengrauen. Als ich an diesem Morgen in den Gerichtssaal kam, saßen Jean de Malestroit und Bruder Blouyn bereits am Richtertisch und beugten sich über Pergamente. Seine Eminenz sah mich fragend an, als ich leise zu meinem Platz neben Frère Demien ging.
Er warf mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten wagte. »Ich wollte Euch heute Morgen abholen«, sagte er, »doch teilte man mir mit, Ihr schliefet noch. Seid Ihr krank?«
»Nein. Ich war nur müde.« Ich schaute nach vorne. »Wie ich sehe, ist Monsieur Chapeillon bereits hier.«
»Er war bereits hier, als ich ankam, und das war, bevor Seine Eminenz und Bruder Blouyn erschienen. Er sitzt schon die ganze Zeit über seinen Papieren.«
Ein aufgeregtes Murmeln erhob sich, denn Milord, wieder einmal ein Pfau, trat ein und nahm seinen Platz unter den Sperlingen ein. Mein schlechtes Gewissen regte sich ungebeten und ließ mich erröten, als ich ihn sah und mich an unser Gespräch erinnerte und an die Dinge, die ich nun unwiderlegbar wusste. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich folgte ihm mit dem Blick und hoffte, dass er ihn erwidern würde, was er aber nicht tat.
Als das Geflüster erstorben war, erhob sich Chapeillon. »Ehrwürdige Richter«, sagte er, »im Namen von Herzog Jean bitte ich Euch, den Angeklagten zu befragen, ob er zu sprechen beabsichtigt. Darüber hinaus bitte ich Euch, ihn unverzüglich dahingehend zu belehren, dass er, auch wenn er es bis jetzt vorzog, nicht zu sprechen, dies nun tun kann, entweder in der Form des Eingeständnisses oder der Zurückweisung der Punkte der früher verlesenen Anklageschrift.«
Jean de Malestroit nickte und wandte sich an Gilles de Rais.
»Milord, auf Bitten des Anklägers hin frage ich Euch, ob Ihr die Absicht habt zu sprechen.«
Nach einem tiefen, ergebenen Seufzen antwortete dieser: »Ich werde nicht sprechen. Aber ich werde auch nichts zurückweisen.«
Diese Änderung des Verhaltens kam für alle bis auf mich völlig unerwartet.
Es dauerte einen Augenblick, bis Chapeillon die Fassung wieder gefunden hatte. »Wenn es dem Gericht beliebt«, sagte er, »möchte ich Euch bitten, Milord Gilles, den besagten Angeklagten, zu fragen, ob er die Zuständigkeit dieses
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