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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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der – wie lange war das eigentlich her? – an meinem Tisch Spaghetti mit Tomatensoße gegessen hatte. Sehr schnell stellte sich heraus, dass Jeff der einzige der drei Jungen war, der wirklich Verletzungen davongetragen hatte. Aber die beiden anderen standen unter Schock. Einer machte Anstalten aufzustehen, als ich von irgendwo im Hintergrund Freds Stimme hörte.
    »Nicht bewegen!«, schrie er. »Wir müssen jedes Fehlverhalten unserer Beamten bei dieser Schießerei ausschließen. Du musst mithelfen.«
    Der Junge gehorchte ohne Widerrede.
    In schneller Folge blitzten Lichter auf. In meinem Kopf wetteiferte das Klicken von Verschlüssen mit dem Lärm der Rotorblätter. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie Jeff, der ganze Körper von Schläuchen übersät, behutsam auf eine Trage gelegt wurde. Er wirkte klein, jung und schrecklich verletzlich. Die Szene verschwamm vor meinen Augen; irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und sah Errol Erkinnen vor mir stehen.
    »Woher wissen Sie …«
    »Es ist in allen Nachrichten«, sagte er. »Ihr Lieutenant hat mich durchgelassen, als ich ankam.«
    Ich spürte, wie meine Schultern herabsanken, als die Erschöpfung einsetzte. Irgendwie gab mir seine Anwesenheit die Erlaubnis, zusammenzubrechen. »O Gott, was für eine Schweinerei … was für eine Schweinerei habe ich aus dieser Sache gemacht …«
    »Sie brauchen jetzt gar nichts zu sagen«, meinte er. »Im Augenblick brauchen Sie rein gar nichts zu rechtfertigen. Ich bleibe bei Ihnen, bis Sie sich wieder stark genug fühlen, um allein zu sein.«
    Seine distanzierte, professionelle Gelassenheit hatte ungefähr dieselbe Wirkung auf mich wie eine Umarmung meiner Mutter. Einen Augenblick lang sank ich in seine stützenden Arme und zitterte einfach. Doch dann riss ich mich wieder los – hier war ein Tatort zu bearbeiten, mein Tatort, und den wollte ich mir nicht wegnehmen lassen.
    Die hektische Aktivität um mich herum gab mir die Kraft, die ich brauchte, um mich wieder in die Arbeit zu stürzen. Während ich dem Fotografen eben die Blickwinkel demonstrierte, die ich haben wollte, kam ein Sanitäter und sagte mir, sie seien bereit und würden Jeff jetzt ins Krankenhaus bringen.
    Die Frage, die ich eigentlich gar nicht beantwortet haben wollte, stellte sich wie von selbst.
    »Noch zu früh, um etwas zu sagen.« Die übliche unverbindliche Antwort. Dann war er verschwunden.
    Kurz schaute ich mir das Chaos am Tatort an und fragte mich, wie mir das so hatte außer Kontrolle geraten können. Letztendlich war es unwichtig; eine »Lösung« war nicht erforderlich. Wir wussten alle, was passiert und wer dafür verantwortlich war.
    Ich ging zu der Ecke, wo Durand behandelt wurde, und schaute aus einer gewissen Entfernung zu. Dutzende Augen waren auf mich gerichtet; jeder war bereit zuzugreifen, falls ich etwas Dummes tat, aber ich blieb auf Abstand, flehte allerdings die ganze Zeit den Kosmos an, er möge Durand sterben lassen. Ich wollte, dass jemand vorschlug, man solle seine Behandlung einfach abbrechen und ihn vor Ort verbluten lassen. Sein Arm war fast abgerissen, und er kämpfte immer noch. Er schrie wie dieser Mistkerl Scorpio in Dirty Harry, dass er verletzt sei, dass er behandelt werden müsse und dass jemand es besser tun sollte, denn die entsetzliche, brutale Polizei habe ihn verletzt. Als er merkte, dass ich ihn ansah, grinste er mich doch tatsächlich an und machte diese abstoßenden zuckenden Bewegungen mit der Zunge.
    Ich sprang. Zehn Hände packten mich. Durand lachte und heulte und schrie gleichzeitig. Ich wehrte mich gegen meine Bewacher, aber sie hielten mich fest.
    »Lasst mich los«, kreischte ich. »Ich bringe ihn um, ich puste ihn weg, ich …«
    Durand heulte noch lauter. »Sie bedroht mich, sie wird mich noch mehr verletzen …«
    Schließlich fand irgendjemand den Schalter für die Deckenbeleuchtung und warf sie unvermittelt an. Der grelle Schein brachte mich zur Besinnung. Plötzlich spürte ich, wie mich jemand auf den Rücksitz eines Streifenwagens schubste. Erkinnen setzte sich neben mich. Ich hörte das Klicken eines Sicherheitsgurts, das Rasseln eines startenden Motors, und dann tauchte ich ab, an irgendeinen flauschigen Ort, wo es das Böse nicht gab und einem Kind nichts passieren konnte. Sie würden den Tatort ohne mich bearbeiten müssen.
    Wilbur Durand wurde mit einer Unmenge von Gurten auf eine Bahre geschnallt und unter doppelter Bewachung ins Krankenhaus geschafft.

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