Die Schreckenskammer
Proteste. »Er will, dass ich zu ihm komme. Er wird nicht schießen, bevor ich es tue.«
Schritt für Schritt näherte ich mich meinem verletzten Kollegen. Als ich bei ihm war, drehte ich ihn auf die Seite, und er half mir so gut er konnte, indem er sich mit einer Hand hochdrückte. »Was ist mit Ihrem Rücken und Ihrem Genick?«, schrie ich durch den Lärm der Rotorblätter.
»Okay«, sagte er.
»Dann werde ich Sie jetzt von hier wegschleifen. Helfen Sie mir, wenn Sie können, aber wenn nicht, schaffe ich es auch so.«
Er lächelte schwach und nickte. Ich drehte ihn ganz auf den Rücken und packte ihn unter den Armen. Ich stöhnte und zog, er stöhnte ebenfalls und schob mit den Füßen. Eine Blutspur markierte die Route unseres quälend langsamen Kriechens zum gelben Band. Als wir nur noch einen knappen Meter entfernt waren, ging ich um ihn herum und stellte mich zwischen ihn und das Studiogebäude. Zwei andere Polizisten und zwei Sanitäter stürzten herbei; zusammen hoben sie den blutenden jungen Mann auf eine Bahre. Nach wenigen Sekunden raste der Krankenwagen mit eingeschaltetem Blinklicht davon.
Spence und Escobar redeten wütend und erregt auf mich ein.
»Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht? Wenn du je wieder so eine Show abziehst, nehmen sie dir dafür deine Marke ab …«
Aber sie irrten sich, das wusste ich genau. Ich war endlich eine freie Frau. Mein größtes berufliches Risiko bestand jetzt darin, dass ich vielleicht zu spät zu der Parade kommen könnte, die man mir zu Ehren abhalten würde. Ich hatte mir meine berufliche Freiheit mit einer Heldentat erkauft, die wahrscheinlich in der ganzen Welt live gesendet wurde.
Ein tiefes Gefühl heiterer Gelassenheit begleitete die Erkenntnis, dass dieser eine Augenblick den Rest meines Lebens bestimmen würde, falls es diesen Rest meines Lebens noch geben sollte. Ich dachte an meine Kinder: Was würden sie ohne mich tun, sollte es so weit kommen? Sie hatten Tanten, Großmütter, Cousins, die sich um sie kümmern konnten – und einen sie abgöttisch liebenden Vater.
Jeffs Vater, das fiel mir jetzt ein, wusste von all dem noch gar nichts. Ich hoffte, dass er noch immer auf dem Revier war.
Dann schaute ich Spence an. Verwirrung, Unruhe und quälende Sorge spiegelten sich auf seinem Gesicht. Er hatte mich noch nie so agierend gesehen. Anscheinend überraschte es ihn, als ich sagte: »Jemand soll Jeffs Vater anrufen und ihn irgendwo hier in die Nähe bringen. Nicht direkt hierher. Er wäre eine zu große Ablenkung. Aber er sollte verfügbar sein, wenn wir Jeff rausbringen.«
»Warum fährst du nicht selbst zurück und holst ihn, Lany? Wir machen hier vor Ort weiter.«
Ich schenkte meinem Kollegen ein trauriges, aber dankbares Lächeln. »Netter Versuch«, sagte ich. »Aber das ist meine Show, das weißt du genau.«
»Lany, nicht. Bitte tu’s nicht.«
Ich trat wieder auf den offenen, von Strahlern erhellten Parkplatz, der das Studio von Angel Films umgab. Parallel zu der Blutspur näherte ich mich dem Gebäude. Als ich durch die Tür trat, schaute ich mich kurz um; Spence und Escobar folgten mir auf derselben Route. Zwei Schüsse knallten, keiner traf. Kurz darauf standen sie neben mir im Empfangsbereich.
»Hast du jemanden losgeschickt, wie ich gesagt habe?« Etwas anderes fiel mir nicht ein.
»Ja«, sagte Spence. Seine Stimme war fast unhörbar.
»Danke.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. Dann lächelte ich Escobar an. »Ihr zwei Jungs seid die besten.«
Drei Sekunden lang schnieften und wischten wir.
»Okay, gehen wir’s an.«
Die Tür ins eigentliche Studio war einen Spalt geöffnet, und wir konnten sehen, dass sie nicht gesichert war – wahrscheinlich dachte Durand, es wäre problemloser, wenn wir einfach hineingehen könnten, anstatt das Schloss aufschießen zu müssen. So etwas gibt es sowieso eigentlich nur in Filmen – na ja, meistens auf jeden Fall.. Der Empfangsbereich war verlassen, aber auf einem der Schreibtische brannte eine kleine Lampe; sie gab gerade so viel Licht, dass wir den Raum durchqueren konnten, ohne über etwas zu stolpern. Überall auf dem Boden standen Kisten, wie bei einem bevorstehenden Umzug. Wir arbeiteten uns zur Studiotür vor, stellten uns rechts und links auf und lauschten einen Augenblick. Die Sirenen, Funkgeräte und die Rotorblätter waren wegen der professionellen Schallisolierung hier drinnen kaum zu hören. Ich legte ein Ohr an die Wand, und meine Kollegen taten es mir nach. Zu dritt horchten
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