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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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bitter. »Ich drohte Milord mit einer solchen Bloßstellung. Milord erwiderte einfach, er würde dafür sorgen, dass Père seine Stellung in Milord Guys Gefolge verliert, wenn ich das täte.«
    Dass ein Kind von zwölf Jahren eine solche Last stumm ertragen musste, war mir ein entsetzlicher Gedanke. Dass dieses Kind mein eigener Sohn war, sprengte mein Vorstellungsvermögen. Ich betrachtete ihn mit den mitfühlenden Augen einer Mutter, doch sein Gesicht zeigte nur Schuldbewusstsein und Bedauern, seine Worte klangen gequält und gepresst.
    »Ich konnte nicht riskieren, dass meine Familie in so schweren Zeiten verstoßen wurde. Deshalb schwieg ich. Und Michel ebenfalls.«
    Er hielt inne. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. »Eines Tages hieß Milord mich, sein Glied mit meinen Händen zu berühren.«
    Ich stöhnte auf und bekreuzigte mich.
    »De Sille und De Briqueville taten es bereits, aber nach einer Zeit fand Milord ihre Aufmerksamkeiten nicht mehr genügend – er schien ihrer ziemlich schnell überdrüssig zu werden. Zuerst weigerte ich mich, aber schließlich war ich gezwungen zu tun, was er verlangte. Mit der Zeit verlangte er noch mehr.«
    Ich stemmte die Hände in die Hüften und stöhnte. »Ach, unheiligste Schlechtigkeit, welch Kummer …«
    »Ich tat nur, was ich tun musste, und ich schwöre, ich tat es nicht bereitwillig. Was er von mir verlangte, war gegen die Natur, gegen alles, was gut und anständig ist …«
    Er zitterte, und sein Gesicht war verzerrt vor der Qual der Erinnerung. In seinen Augen sah ich, dass es noch mehr zu sagen gab, aber das Gewicht dessen, was bereits aus ihm herausgeströmt war, lastete so schwer auf ihm, dass er den Willen zum Weiterreden verloren hatte. So sagte er nur noch: »Und danach fand ich Gründe, seine Gegenwart zu meiden.«
    Das Bild meines Sohnes Jean als zwölfjähriger Junge tauchte vor meinem geistigen Auge auf. Es gab eine Zeit, da schien er sich vor unseren Augen zu verändern, aber als ich meine Besorgnis darüber zum Ausdruck brachte, versicherte Etienne mir, das sei der normale Lauf der Dinge für einen Knaben seines Alters, dass er launisch werde und uns meide. Ich war selbst so, wenn ich mich recht erinnere. Und auch meine Mutter war nicht sehr erfreut.
    Aber er meidet seine Spielkameraden, sagte ich zu meinem Gatten. Zerbrich dir nicht den Kopf, erwiderte er, und, mon Dieu, Guil lemette, versuche nur nicht, ihn an deinem Rockzipfel zu halten. Irgendwann muss er zum Manne werden.
    Wäre eine Geißel zur Hand gewesen, hätte ich sie wohl gegen mich selbst gebraucht, so sehr schämte ich mich meines früheren Versagens. Ich hätte die Beschützerin meines Sohnes sein sollen, aber ich hatte es nicht vermocht, ihn vor dem Raub seiner Unschuld zu bewahren.
    Und dann hätte ich diese Geißel gegen Gilles de Rais gebraucht, möge Jean de Craon in der Hölle schmoren.
    Erschöpfung, Entsetzen und Grauen beherrschten mich, und dies alles wurde noch verstärkt durch meinen Abscheu vor mir selbst, die ich zugelassen hatte, dass dies alles geschehen konnte. Doch als die Bedeutung dessen, was mein Sohn mir gestanden hatte, in meinem Geist Gestalt annahm, trat eine andere Empfindung zu Tage: Mein Abscheu richtete sich nun auf ein anderes Ziel. Ich war erzürnt wie noch nie zuvor in meinem Leben, und der Großteil dieses Zorns richtete sich gegen den, gegen den er gerichtet sein sollte, gegen Gilles de Rais nämlich.
     
    Ich machte mir nicht die Mühe, das blaue Kleid anzuziehen, das Madame le Barbier mir geliehen hatte, ich hatte es nun nicht mehr nötig, mich als eine Zugänglichere auszugeben als die Äbtissin, die ich war und wohl auch immer bleiben würde. Entschlossen stieg ich die Treppen zu den Gemächern hoch, in denen Gilles de Rais nun auf den Tod wartete, der unweigerlich sein Schicksal war, und es kümmerte mich nicht mehr, ob er verängstigt und alleine war in diesen seinen letzten Tagen, sondern ich wünschte nur doch, dass er dies alles in der Zeit, die ihm noch blieb, aufs Schärfste spürte. Es genügte nicht, dass er den Richtern die Missetaten gestanden hatte, die er als Mann begangen hatte. Nicht seit dem Tag, als ich »zum Markt« aufgebrochen war und stattdessen Madame le Barbier zum ersten Mal besuchte, hatte ich in meinem Herzen eine solche Ruhe gespürt, eine solche Kraft in meinem Schritt, eine solche Gewissheit über das, was geschehen musste. Jetzt war eine Zeit der Geständnisse, eine Zeit, um die Seele zu entlasten. Gilles de Rais

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