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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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wem?«
    »Aber, Madame, wisst Ihr das nicht? Grandpère, naturellement. Wie auch immer, Michel ging vor mir und schlug auf die Büsche, um Vögel aufzuscheuchen, und ich betrachtete ihn von hinten. Als wir die Eichen erreicht hatten, war ich so verzaubert von seinen Bewegungen, der Geschmeidigkeit seiner Glieder, dem anmutigen Schwung seiner Arme, dass ich hinter ihn trat und ihn packte. Oh, er war stark für einen, der so schlank und zierlich war; er wehrte sich heftig gegen meinen Griff und versuchte, vor mir davonzulaufen. Wenn er sich losriss und nach Champtocé zurückkehrte, würde er erzählen, was vorgefallen war, und das, befürchtete ich, würde ernste Folgen haben. Ich konnte es mir nicht leisten, dass Grandpère erfuhr, was ich angestellt hatte. Ich konnte mir auch nicht annähernd vorstellen, was er tun würde.
    Also brachte ich Michel zum Schweigen; ich hatte keine andere Wahl. Ich drückte ihm die Kehle zu, nicht lange genug, um ihn zu töten, doch mit Sicherheit lange genug, um ihn zu bändigen. Ich hatte mich nicht gut genug vorbereitet; ich hatte nichts, um ihn zu binden, während ich mich an ihm vergnügte. Doch ich erinnerte mich an die Eingeweideschlingen, die aus dem Bauch meines Vaters hingen, als man ihn ins Schloss brachte, und ich wusste, Michel würde nicht weit kommen, wäre er mit seinen Eingeweiden irgendwo angebunden; so zog ich mein Messer, und während er noch um Atem rang, schlitzte ich ihm den Bauch auf, durch sein Hemd hindurch, damit sein Blut mich nicht bespritzte. Vorsichtig zog ich eine Hand voll seiner Eingeweide heraus. Ich brauchte nur ein paar Ellen, um ihn an einen nahen Baumstumpf zu binden, aber es kam mehr heraus; ich hatte nicht die Zeit, es wieder hineinzustopfen. Ich drehte ihn auf den Bauch – er drückte sich ein wenig vom Boden hoch, vermutlich, damit seine Eingeweide die Erde nicht berührten, doch das erregte mich nur noch mehr.
    Es dauerte nicht lange; ich war jung und erregt. Ich hatte erwartet, dass er schreien würde, doch diesen Gefallen tat er mir nicht. Ich weiß nicht, ob er bei Bewusstsein war, während ich in ihn stieß, doch als ich fertig war und ihn wieder umdrehte, waren seine Augen offen und so voller Hass, dass es mir das Herz zerriss. Er verachtete mich, Madame, und ich konnte es nicht ertragen – ich liebte ihn so sehr, und ich wollte doch nur, dass er diese Liebe erwiderte.
    Er starb nicht sofort, wie ich gedacht hatte, obwohl ich es nach dem, was mit meinem Vater geschehen war, besser hätte wissen müssen. Nun versuchte ich, die Eingeweide wieder in seinen Bauch zu stopfen; sein Blut war warm und feucht, und ich wollte mich damit beschmieren, um sein innerstes Wesen an mir zu tragen. Doch das hätte mich verraten! Es würde schwer genug werden, das Blut allein von meinen Händen zu entfernen.
    Eine Stunde verging, und er war noch immer nicht tot. Ich sprach leise mit ihm, aber er erwiderte kaum etwas, nur dass ich seiner Mutter und seinem Vater und seinem Bruder sagen solle, dass er sie liebe und im Himmel auf sie warten werde. Und viele Male flüsterte er auch, dass ich ohne Zweifel in der Hölle landen werde.
    Schließlich schnitt ich ihm die Kehle durch, und danach starb er. Aber um zu verhindern, dass das Blut mich überall voll spritzte, hielt ich seinen Umhang gegen seinen Hals. Ich konnte nicht sehen, was ich tat, und so schnitt ich zu tief. Sein Kopf war fast abgetrennt – ich hatte zuvor noch nie getötet, und ich kannte meine eigene Kraft zu der Zeit nicht, oder ich hatte aus irgendeinem Grund unnatürliche Kraft, vielleicht weil mich das alles so sehr erregte. Er hing erbärmlich an seinem Halsstumpf, und als ich den Leichnam wegschleifte, um ihn zu verstecken, holperte er über den Erdboden. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er vielleicht abriss, und so trennte ich ihn eigenhändig ab. Ich begrub ihn und seinen Kopf unter einem Steinhaufen am Ufer des Bachs, denn dort gab es viele lose Steine, und die Stelle, die ich wählte, lag hinter einem großen Strauch und war nur zu sehen, wenn man dicht davorstand. Ich legte den Kopf wieder an den Halsstumpf und band meine Schärpe darum, so dass es aussah, als sitze er noch auf den Schultern, denn ich konnte den Anblick dessen nicht ertragen, was ich getan hatte. Ich versuchte, mir im Bach das Blut abzuwaschen, aber von meiner Kleidung konnte ich es nicht völlig entfernen. So nahm ich den Dolch und schnitt mir eine kleine Wunde in den Arm, um die Flecken zu rechtfertigen.

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