Die Schreckenskammer
Glück gar nicht verstehen … Ich muss nur immer wieder sagen, wie dankbar ich meinem frère de lait Gilles für die Hilfe bin, die sein Einfluss mir hat zukommen lassen …
Milords dankbare Diener, wir beide – Jean und ich waren uns so ähnlich. Viel mehr als er und sein Vater, der ein Krieger war, wie Jean nie einer hätte sein können. Aber Etienne und Michel waren Vater und Sohn bis ins Mark gewesen – in ihren Eigenarten, ihren Vorlieben und Abneigungen, ihrer Ausdrucksweise.
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war so auffällig, dass Milord Gilles sie noch erwähnte, als Michel schon lange nicht mehr bei uns war.
Zwillinge, sagte er oft zu mir, viel mehr als Vater und Sohn – und beide so stattlich und hübsch. Euer Michel hatte das Gesicht eines Engels.
Das hatte auch Etienne, doch das war Ansichtssache. Dennoch hätte ich mit Milord bei der Beurteilung ihrer beider Aussehen nicht in größerem Einklang stehen können.
Mon cher fils, schrieb ich vor meinem Aufbruch, es erfüllt mich mit großem Stolz, von deiner Verbesserung zu lesen. Aber es wundert mich nicht. Es wird nicht lange dauern, bis du mir von deiner Ernennung zum Monsignore berichtest, und mein Herz frohlockt bei dem Gedanken an die Ehrungen, die dir noch zuteil werden. Milord Gilles’ Gönnerschaft hat sicherlich geholfen, dir deinen Platz in Avignon zu sichern, aber diese zusätzlichen Auszeichnungen sind die Frucht deiner Leistungen – und nicht von Milords Einfluss, der in letzter Zeit nachgelassen hat.
Hier in Nantes gibt es Intrigen …
Ich berichtete ihm von Anfang bis Ende, was ich von Madame le Barbier erfahren hatte.
Auch ich habe das Liedchen gehört, das du mir in deinem letzten Brief geschrieben hast, bezüglich des Essens kleiner Kinder! Seine Eminenz rät mir davon ab, er hat es mir aber auch nicht verboten, und deshalb werde ich jetzt über Land reiten, um mit den Leuten zu sprechen und herauszufinden, was dahinter steckt.
Ich musste denjenigen, denen ich begegnete und die ich befragte, sehr merkwürdig vorgekommen sein – eine Äbtissin, die in der Umgebung von Nantes herumirrt und fragt, ob Kinder verschwunden sind. Obwohl ich etwas suchte, das Seine Eminenz wahrscheinlich wieder als Klatsch abtun würde, war ich mir sicher, dass ich fast so viel davon verursachen würde, wie ich mitbrachte.
Bei allen Heiligen, würde man unter einem Fenster oder vor einem Marktstand verkünden, die Verehrte Mutter hat nun endgültig den Verstand verloren … Ich habe es mit eigenen Augen gesehen …
Von mir aus. Ich verließ das Kloster des Bischofspalastes am Dienstag der Woche vor Ostern, um herauszufinden, ob die Geschichte des Reisenden aus Saint-Jean-d’Angély, jene, die als chanson bereits Avignon erreicht hatte, das Ergebnis tatsächlicher Begebenheiten war oder aber der Einbildung eines armen Verrückten, möge Gott jene retten, die zu sehr vom Mond beeinflusst sind. Man hatte mir eine Eselin als Reittier gegeben, kein Pferd – wenn Ihr unbegleitet reist, werdet Ihr mit diesem Tier besser zurechtkommen, hatte der Stallbursche mir versichert. Mit anderen Worten: Keiner wird versuchen, es Euch zu stehlen. Das gab mir zu denken, einen Augenblick lang überlegte ich, die feine Goldkette abzunehmen, die um meinen Hals hängt, seit meine Mutter sie mir vererbt hat. Bis zu dem Tag, da sie in Gottes Hände überging, Etienne lebte da mals noch, hatte sie immer um ihren Hals gehangen. Sie verriet nie, woher sie ursprünglich stammte – vielleicht von meinem Vater oder aus ihrer Mitgift. In den letzten Jahren, da sie schon beinahe ein Teil meines Körpers geworden ist, habe ich mich gefragt, ob sie nicht auch ein Geschenk von einem anderen Mann gewesen sein könnte – einem treuen Bewunderer vielleicht oder einem verflossenen Liebhaber, von dem sie nie sprach. Meine Mutter war immer eine schöne Frau gewesen, zumindest, bis ihre tödliche Krankheit sie allen Fleisches beraubt hatte und sie aussehen ließ wie ein Sack voller Knochen.
Sie ging beinahe unbemerkt von uns, denn an jenem Tag ereignete sich in la famille de Rais ein beängstigender Vorfall. Madame Marie de Craon de Laval hatte einen kleinen Hund mit lockigem Schwanz und sehr kurzem, sandfarbenem Fell, ein Geschenk eines Händlers vom anderen Ufer des südlichen Meers hinter dem Heiligen Land, aus einem Land, wo die Haut der Menschen angeblich schwärzer sein soll als die des dunkelsten Moors, obwohl ich nicht glaube, dass eine solch verrückte Behauptung wahr
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