Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
Vom Netzwerk:
Genuss«, bemerkte ich.
    Der Stoff ihres langen Ärmels raschelte über den Tischläufer, als sie den Arm ausstreckte, um mir noch ein Stück Birne auf den Teller zu legen. »Früher war ich eine weltliche Frau«, sagte sie und lächelte herzlich, »als ich noch jünger war, will ich damit sagen.«
    Nun musste ich fragen, ob es mir zustand oder nicht: »Seid Ihr verwitwet?«
    »O nein«, erwiderte sie und lachte ein wenig. »Ich nahm diesen Schleier als Ledige.«
    »Aus freien Stücken?«
    Nach kurzem Zögern sagte sie: »Damals erschien es mir nicht so. Ich wurde schon in der Kindheit verlobt, eine ausgezeichnete Partie in den Augen meiner Familie, sehr vorteilhaft für uns alle. Nur erwies sich mein Verlobter als der abscheulichste Mann, den Gott je erschuf. Ein schändliches Tier mit verabscheuungswürdigen Gewohnheiten. Lieber wäre ich gestorben, als seine Kinder auf die Welt zu bringen.«
    War diese offene, freimütige Frau schon so früh am Tage am Hippokras gewesen? Ich glaubte es nicht und kam zu dem Schluss, dass es wohl der mit Honig versüßte thé sein musste, der ihr die Zunge löste. »Also beschlosset Ihr, hierher zu kommen?«
    Sie lächelte verschwörerisch. »War es Eure eigene Entscheidung, nach Nantes zu gehen?«
    Es war eine sehr direkte Frage und sehr unumwunden ausgesprochen, und ich vermutete, dass sie die Antwort bereits wusste.
    »Nein«, sagte ich. »Mein Ehegatte war gestorben, und mein einzig mir verbliebener Sohn war Priester, der mich nicht unterstützen konnte.«
    »Ach, ja. So geht es oft. Aber ich habe bemerkt, dass die Schwestern, die hierher kommen, nachdem sie in der Welt draußen gelebt haben, viel weiser und nützlicher sind als jene, die schon als Jungfrauen den Schleier nehmen.«
    Ich konnte ihr nicht widersprechen.
    »Als ich hierher kam, war es viel weniger« – sie bewegte die Hand auf der Suche nach dem richtigen Wort – »bequem. Mein Vater wollte, dass ich die Folgen meiner Verweigerung dieser Heirat begriff, die er für mich erwirkt hatte, und schickte mich deshalb an den schlimmsten Ort, den er finden konnte. Aber er hatte mich zur Klugheit erzogen, und unter diesen jungen Mädchen stieg ich schnell auf. Dieses Kloster war beinahe schon eine Ruine – als ich es übernahm, kümmerte ich mich um seine Wiederherstellung.«
    »Sehr erfolgreich«, sagte ich und sah mich um. Die Steinmauern waren alle erstaunlich sauber und frisch verputzt. Alle Holzoberflächen hatte man mit Öl behandelt, so dass sie warm glänzten und einen wunderbaren Duft abgaben. Die Fenster aus vielfarbigem Glas waren makellos sauber. Obwohl unsere Abteien und Klöster viel imposanter waren, war nichts, was wir in Nantes hatten, von einer vergleichbaren Vollkommenheit. Sie hatte ihre Fähigkeiten viel tatkräftiger angewandt als ich in meinem Reich.
    »Ergebenheit und Treue haben mir durchaus genützt«, sagte ich ihr, »aber immer wenn ich versuche, klug zu sein, scheint das nur in mein Verderben zu führen.«
    »Ich habe hier keinen Bischof, der mich ärgert.«
    »Ja«, sagte ich. »Das ist wohl wahr.«
    »Seine Eminenz Jean de Malestroit ist ein Mann, der für seine Standhaftigkeit berühmt ist.«
    »Auch das ist richtig«, entgegnete ich nachdenklich. »Aber immerhin gestattete er mir diese Reise, gegen sein besseres Wissen. Aber da er auch Kanzler ist, vermute ich, dass er mir dieses Zugeständnis gemacht hat, weil es in seinem oder Herzog Jeans Interesse war.«
    »Seht Ihr«, sagte Schwester Claire. Dann beugte sie sich vor und flüsterte mir einen Rat zu. »Ihr müsst ihn beobachten und herausfinden, was seine Handlungen in dieser Angelegenheit beeinflusst; Ihr werdet Mittel und Wege finden, ihn so weit zu bringen, dass er Euch alles gewährt, was Ihr wollt. In dieser Hinsicht sind alle Männer – sogar Priester – wie Ehegatten.« Sie lachte leise und fügte dann hinzu: »Das ist mir zumindest gesagt worden, denn ich selber hatte ja nie einen.«
     
    Die Äbtissin hatte bereits frühmorgens eine junge Nonne ausgesandt, lange vor unserer Mahlzeit. Das Mädchen war geradewegs ins nächste Dorf gegangen und hatte sich, wie ein guter Ausrufer es tun würde, an den Brunnen gestellt, um die Nachricht zu verbreiten, dass ich Nachforschungen nach vermissten Kindern anstelle. Sie war ein Mädchen aus der Gegend und erwies sich als außerordentlich gut gewählte Botin, denn es dauerte kaum eine Stunde, bis eine Frau aus dem Dorf erschien. Mir kam es sogar kürzer vor, vielleicht weil die Äbtissin

Weitere Kostenlose Bücher