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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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gibt.«
     
    Sobald er in Ellens Wohnung war, würde er ihr erzählen, dass ich ihn über sie ausgefragt hatte und dass es klang, als würde ich sie verdächtigen. Warum, ja warum konnte ich nicht so sein wie Spence Frazee, glatt wie Seide und immer die richtigen Fragen parat?

7
    Es ergab keinen rechten Sinn, noch einen Tag der Befragungen in der Gemeinde von Bourgneuf anzuhängen, auch erachtete ich es nicht für nötig, noch in anderen Gemeinden nach Geschichten von Kindern, die von unbekannten Dämonen verschlungen wurden, zu forschen. In Bourgneuf und den anderen Dörfern, durch die ich geritten war, hatte ich genug Brennstoff gesammelt, um ein mächtiges Feuer zu entzünden, und so machte ich mich nach einer weiteren Nacht mitnichten glückseligen Schlafes früh auf die Rückreise nach Nantes. Das Gefühl des Abenteuers, das die Reise erträglich gemacht hatte – wenn auch gerade noch –, war jetzt verschwunden. Dringlichkeit war an seine Stelle getreten.
    Unterwegs traf ich auf keinerlei Briganten, doch auch der kühnste Räuber hätte es kaum gewagt, mich anzugreifen – über meinem Kopf schwebte eine dunkle Wolke, die selbst den entschlossensten Wüstling vertrieben hätte. Dennoch wusste ich, auch wenn ich es leugnete, dass ich wirklich in Gefahr schwebte. Das Chaos regiert überall, hatte mein Sohn in einem seiner düstereren Briefe geschrieben. Von einem Tag zum nächsten wissen wir nicht, welcher Herzog oder Baron zu uns kommt, um zu verlangen, dass sein Anspruch auf ein usurpiertes Gebiet durch einen Segen legitimiert werde.
    Im Süden hatten sich die Zustände im Verlauf des letzten Jahres gebessert, der Norden jedoch blieb unsicher; wir waren ein leichtes Ziel für die Engländer, die es natürlicherweise vorzogen, die günstig gelegenen Ländereien der Normandie oder der Bretagne zu belagern, anstatt Vorräte und Waffen auf einem langen Feldzug in die Provence zu vergeuden, trotz der deutlichen Verbesserung des Wetters, die man immer erlebt, wenn man in den Süden reist. Wie viel angenehmer ist es doch, eine Landschaft zu verwüsten, wenn die Luft die Haut streichelt wie die Finger einer Geliebten und nicht der Regen sie sticht wie Pfeile und Nadeln. Herzog Jean hatte es geschafft – ich weiß nicht, ob durch Klugheit oder Gefühllosigkeit –, die Engländer in der Bretagne mit einer schwer erträglichen Allianz, deren Bedingungen sich beinahe monatlich zu ändern schienen, in Schach zu halten, sehr zum Verdruss Seiner Eminenz, wenn er gerade den Hut des Staatsmannes trug.
    Vielleicht lag es an dieser beständigen Neuabstimmung des Abkommens, dass die Umstände hier bei uns in der Bretagne besser waren als in Frankreich selbst. Aber auch ein relativer Frieden kann Schwierigkeiten bringen, die man kaum erwarten würde – das heißt, das Problem der freien Söldnertruppen. Da die Kriege im Augenblick einigermaßen eingedämmt waren, zogen die Ritter und Knappen, die früher die Aufgabe hatten, ihren Herren zu dienen, jetzt ziellos durch die Lande auf der Suche nach Opfern, die sie ausplündern konnten, um wenigstens zu versuchen, mit der Beute den Fortbestand der Truppe zu sichern. Das war unzweideutig die Ironie des Friedens.
    Man konnte kaum noch unterscheiden zwischen Soldat und Verbrecher, so verschwommen war die Grenze. Meinen eigenen Landsleuten gelang es ebenso wenig, die Blutgier aus ihren Seelen zu verbannen wie den verachteten Engländern – sie bedrohten Kinder, Alte und Schwache, jeden, der keine Waffe trug, und verübten für gewöhnlich Grausamkeiten, die selbst Gott zum Weinen bringen mochten. In seinem letzten Delirium hatte mein Ehemann Etienne von Dingen gesprochen, die er mir nie erzählt hätte, wäre er noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen. Er hatte gesehen, wie Männer mit Ketten gefesselt und geröstet wurden, während man ihre Frauen und Kinder zuzusehen zwang, wie Zähne einer nach dem anderen gezogen wurden, bis auch der letzte sou den Peinigern übergeben worden war, wie Unschuldige gemartert und verstümmelt wurden – Freveltaten, die jede Vorstellung übersteigen.
    Und als wären diese Quälereien nicht schon genug, verschwanden jetzt auch noch die Unschuldigen, die verschont worden waren. Allmählich bekam ich den Eindruck, dass dieses Verschwinden schon eine ganze Weile andauerte, direkt unter unseren Augen – und dennoch unbemerkt.
    Am späten Nachmittag kam ich im Kloster an und brachte meine Eselsstute in ihre kleine Unterkunft zurück. Ich

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