Die Schreckenskammer
aktiver Vater zu sein und das alles, aber über diese Entfernung ist es schwierig. Er ist ein großartiger Junge. Ich vermisse ihn sehr.«
»Hatten Sie in letzter Zeit Probleme mit ihm? Ich weiß, dass Kinder und Eltern oft schwierige Zeiten durchmachen, ganz egal, wie sehr sie sich lieben. Zumindest bei mir und meinen Kindern ist das so.«
»Nein, da gibt’s nichts Erwähnenswertes. Er ist ein guter Schüler und noch immer ziemlich respektvoll, obwohl ich merke, dass er allmählich zum Teenager wird, das könnte sich deshalb bald ändern.«
Ich lächelte und musste an Evan und seine gelegentlichen Aufsässigkeiten denken. »Wahrscheinlich. Aber man kommt damit zurecht, wenn man sich Mühe gibt.«
»Ich kann nicht sagen, dass mir irgendwas Spezielles aufgefallen wäre. Wir kommen ziemlich gut miteinander aus. Ich weiß, die Entfernung trägt einen guten Teil dazu bei. Wenn ich mich jeden Tag mit ihm auseinander setzen müsste wie Ellen, dann hätte ich bestimmt das eine oder andere zu sagen.«
Er hatte mir das Stichwort gegeben, das ich brauchte. »Ich wollte Sie auch nach Ihrem Verhältnis zu Nathans Mutter fragen.«
Er seufzte betrübt. »Das ist so gut wie bei jedem geschiedenen Paar, nehme ich mal an. Wir versuchen, es uns gegenseitig nicht zu schwierig zu machen, wenn Sie das meinen.«
»Was war der Grund für den Bruch Ihrer Ehe, wenn Sie mir die Frage gestatten?«
Er zögerte kurz und sagte dann leise: »Eine andere Frau.«
Es stimmt, was über Geschmack gesagt wird – darüber lässt sich nicht streiten. Dass irgendeine Frau diesen Mann begehren könnte, ging über meinen Horizont. Zugegeben, er war offensichtlich intelligent, redegewandt, fürsorglich und ein hingebungsvoller Vater. Aber das alles machte ihn nicht weniger unansehnlich.
»Gibt es deswegen Groll zwischen Ihnen?«
»Anfangs gab es den schon, aber als sich die Wogen geglättet hatten, merkte sie, dass sie von mir sowieso die Nase ziemlich voll hatte. Ich sehe keine Anzeichen, dass sie jetzt noch daran zu kauen hat. Die Sache ist jetzt schon fast zehn Jahre her, und wir beide sind seitdem viel erwachsener geworden.«
»Waren Sie diese ganze Zeit in Arizona?«
»Nein, ich bin erst vor fünf Jahren dorthin gezogen. Nathan zu verlassen war eine schwierige Entscheidung, aber das Angebot war einfach zu gut.«
»Stehen Sie in regelmäßigem Kontakt mit Ellen?«
»Ziemlich regelmäßig. Sie hält mich über alle seine Aktivitäten auf dem Laufenden, was er nicht so gut schafft, einfach, weil er so ist, wie er ist. Ein ziemlich zerstreuter Junge.«
Seine Mutter hatte von Tagträumen gesprochen. »Diesen Eindruck habe ich bereits bekommen. Ihre Gespräche mit Ellen sind also im Allgemeinen angenehm?«
» Herzlich dürfte es besser treffen. Sie will, dass ich ein gutes Verhältnis zu Nathan habe. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Sie ist eine anständige Frau.«
»Und wie hat sie in letzter Zeit auf Sie gewirkt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Wirkte sie irgendwie nervös oder ungewöhnlich aufgeregt?«
»Na ja, ihr Sohn ist verschwunden, da ist man …«
»Ich meinte, davor.«
»Ach so. Nein, überhaupt nicht.«
»Soweit ich weiß, haben Sie zuvor schon ein Kind verloren. Plötzlicher Kindstod, wie ich gelesen habe.«
»Ja. Das war vor Nathans Geburt.«
»Das tut mir sehr Leid.«
»Danke. Es war eine furchtbare Erfahrung, das kann ich Ihnen sagen.«
»Verstehe. Als Sie das gemeinsam durchstehen mussten, wie war da Ellen?«
Wieder rutschte er hin und her. Seine Miene verdüsterte sich, als ihm dämmerte, in welche Richtung meine Frage ging; sein Tonfall wurde schärfer. »Was soll das heißen, wie sie war? «
»War sie bestürzt, wütend, resigniert oder was?«
»Detective, sie hatte ein Baby verloren. Wie sollte sie denn da sein?«
»Ich weiß es nicht, Mr. Leeds. Ich habe so etwas selbst noch nicht erlebt, und deshalb versuche ich, es zu begreifen. Ich frage mich auch, inwieweit diese Erfahrung ihre Reaktion in der gegenwärtigen Situation beeinflussen könnte.«
»Inwieweit könnte Ihnen das helfen, Nathan zu finden?«
»Nun ja …«
Er stemmte sich aus dem Stuhl hoch. »Hören Sie, wenn Sie glauben, dass Ellen irgendwas mit dieser Sache zu tun hat, dann täuschen Sie sich. Sie liebt diesen Jungen, und sie ist eine großartige Mutter. Löschen Sie einfach den Gedanken, dass sie etwas damit zu tun haben könnte. Verschwenden Sie Ihre und vor allem Nathans Zeit nicht. Falls es für ihn überhaupt noch so etwas wie Zeit
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