Die Schreckenskammer
später beim Trocknen hart und steif werden. Nach dem Gottesdienst würde der Steinboden des Kirchenschiffs übersät sein mit getrockneten, abgestreiften Schlammklumpen, doch dafür wäre dann Schwester Elene verantwortlich.
Das Kirchenschiff quoll bereits über vor Gläubigen, alle angetan mit ihren besten Gewändern, die nur für solch würdige Gelegenheiten herausgeholt wurden. Doch vieles, was hier als prächtiger Staat vorgezeigt wurde, verdiente kaum den Namen. Madame le Barbier hätte vielen dieser Gläubigen von großem Nutzen sein können. Ich verrenkte den Hals und schaute mich um, wollte ich doch wissen, ob sie den Weg von Machecoul hierher auf sich genommen hatte, doch ich entdeckte sie nirgends in der Gemeinde.
Trotz der Verzweiflung und der Armut, über welche die meisten dieser Menschen völlig zu Recht klagten, beteten sie doch mit großer Hoffnung; es war ein Tag der Erneuerung, der Wiedergeburt und der Versprechungen des Frühlings. Die Luft hatte eine Frische, die sie zu keiner anderen Zeit besitzt. Das Sonnenlicht war dünn, aber strahlend und neckte uns mit der Ankündigung süßer Wärme.
Die Vögel sangen, als hätte Gott selbst ihnen über die Flügel gestrichen.
Wir hatten unsere eigenen von Gott gestreichelten Vögel auf der Empore im hinteren Teil der Kirche, auch wenn sie alle menschlich waren – Knaben und Männer, um genau zu sein. Aber einige von ihnen besaßen Stimmen … wie von den Engeln gestohlen. Ich schloss die Augen und ließ den Gesang mich durchdringen.
Kyrie eleison, Christe eleison.
O Domine, Jesu Christe, rex gloriae, libera animas omnium fidelium de functorum, de poenis inferni, et de profundo lacu.
Ich versenkte mich in die schmeichelnde Süße des Gesangs. Doch öffnete ich überrascht die Augen, als eine Stimme allein erklang. Ich hatte sie schon oft zuvor gehört.
Hostias, te preces tibi Domine, laudi suferium, tu suscipe, animas iras …
Auf meinem Platz im vorderen Teil der Kirche drehte ich mich um und schaute nach hinten zu den Sängern.
»Bei allen Heiligen …«, murmelte ich.
Quarum hodie, memoriam, et ius …
Frère Demien saß direkt vor mir, und ich zupfte ihn am Ärmel. Anscheinend hatte ich ihn in einem Augenblick tiefen Gebetes gestört, denn er drehte sich um und sah mich, was selten vorkam, verblüfft an.
Ich deutete nach oben. »Schaut – im Chor«, raunte ich.
Er hob die Hand, um die Augen gegen das Sonnenlicht zu beschirmen, das durch das rückwärtige Fenster schien. »Gott sei gelobt«, flüsterte er. »Buchet! Aber … warum ist er nicht in Machecoul? Mon Dieu! « Er sah mich bestürzt an. »Der Herzog muss ihn von Milord Gilles weggelockt haben.«
Es erschien mir unwahrscheinlich. »Man fragt sich, was das zu bedeuten hat – Milord und Buchet waren doch ein Herz und eine Seele.«
»Nun nicht mehr, wie es aussieht.«
André Buchet war im ganzen Land berühmt, und das zu Recht – er war jung und gut aussehend und besaß eine Stimme, die in ihrer Vollkommenheit eine Beleidigung Gottes hätte sein können, hätte nicht Gott selbst sie geschaffen und hätte Buchet sie nicht vorwiegend zum Lobpreis seines Schöpfers genutzt. Gilles de Rais hatte ihn eines Tages in der Gemeinde von Saint-Etienne, die zu seinem Besitz gehörte, singen gehört und ihn sofort mit sich genommen, damit er im Chor seiner persönlichen Kapelle zu den Heiligen Unschuldigen singe. Die Zeremonie zu Buchets Installation war bemerkenswert gewesen und wurde oft nacherzählt, doch konnte sie nie genau wiederholt werden, nicht einmal von denselben Sängern und Musikern – die Stimmung war damals etwas ganz Besonderes gewesen. Buchet war zu der Zeit noch ein kleiner Junge und völlig unverdorben. Doch jetzt, nachdem man ihn mit allen möglichen Privilegien verwöhnt hatte, erwartete er inzwischen eine solche Behandlung und war berüchtigt für seine Wutausbrüche, wenn etwas nicht genau nach seinem Geschmack verlief.
Lange gab es heimliches Getuschel unter uns über die Art, wie Milord den Jungen vergötterte. René de la Suze hatte dagegen Einspruch erhoben, dass sein Bruder so viel Geld auf den Jungen verschwendete.
Gute Soprane sind selten und müssen gepflegt werden, hatte Milord zu seiner Verteidigung gesagt.
Aber noch schwerer zu erhalten, und deshalb ist Geld vergeudet, hatte Milords Bruder erwidert. Sie werden erwachsen, und die Stimme wird tiefer.
Nicht so bei Buchet. »Wie alt ist er jetzt, was meint Ihr?«, fragte ich Frère
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