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Die Schreckenskammer

Titel: Die Schreckenskammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Benson
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Aber sogar Ihr müsst zugeben, dass es schändlich ist, wie er Buchet anstarrt.«
    Ich riss meinen Blick los von dem mächtigen Herrn, der als Kind unzählige Stunden auf meinem Schoß verbracht hatte, und schaute zu dem Sänger hoch, der ihn so fesselte. Die Zuneigung und die Traurigkeit in Milords Antlitz beunruhigten mich. » Regardez, mon Frère « , sagte ich. »Buchet ist wie Eis dort oben auf der Empore. Er erwidert Milords Blick nicht.«
    Dann senkte Milord den Kopf, als würde er abgrundtief leiden. Er drehte sich wieder um und schritt weiter den Mittelgang entlang, folgte dem linkischen Des Ferrières zum Beichtstuhl, ein Pfau im Schlepptau eines Täubchens.
    Ach, Guillemette, hatte mein Etienne in seinen letzten Tagen, als er nichts anderes mehr konnte, versonnen geflüstert, du hättest ihn vor Orléans sehen sollen! Wir alle blickten ehrfürchtig zu ihm auf. Seine Rüstung war von einem glänzenden Schwarz und passte ihm wie angegossen, und wenn er seinem Ross die Sporen gab, wehte der weiße Busch auf der Spitze seines Helms gerade nach hinten. Ich sage dir, Weib, er war sowohl grimmig wie edel; er konnte sein grausames Wesen immer hervorholen, viel schneller als irgendeiner von uns. Ich sah ihn sein Schwert in den Bauch eines Engländers stoßen – nur wenige überlebten, wenn er einen vernünftigen Hieb ansetzen konnte. In dieser ganzen Armee gab es keinen Mann, der so beherzt kämpfte wie Gilles de Rais.
    Es geschah nach dieser großen und blutigen Schlacht, dass er zum Marschall Frankreichs ernannt wurde. Gilles ritt an der Seite der Jungfrau, sie in ihrer rein weißen, ungeschmückten Rüstung, er so prächtig in Schwarz.
    Kohle und Schnee, hatte Etienne gesagt. Wie zwei Menschen sich so ähneln und zugleich so verschieden sein können, ist unergründlich.
    Mein Mann war nicht der Einzige, dem ihre so deutliche Verschiedenh eit und gleichzeitig ihre unverhüllte Kameradschaft auffielen. Die jeweiligen Legenden der beiden wuchsen; sie ein unbeflecktes Bauernmädchen, zu den Waffen gerufen von »Stimmen« (die einige für unheilig, vielleicht sogar für die Einflüsterungen von Hexen hielten), und er, der Inbegriff der Weltlichkeit, mit all der Pracht, die sein Stand ihm ermöglichte. Beide waren unabhä ngig in Gedanken und Tat, ihre Hingabe zeigte sich jedoch auf unterschiedliche Art. Alles, was Jeanne d’Arc tat, lag begründet in ihrem Glauben, dass Gott ihr den Auftrag und die Mittel gegeben hatte, Frankreich unter dem Bastard Charles zu einen; Gilles de Rais dagegen lieferte keinerlei Rechtfertigung für seine Taten, da sie auch niemand von ihm verlangte. Er war zur Willkür geboren, ergo tat er, was er wollte.
    Sie waren beide völlig wahnsinnig, sagte Etienne oft. Angesichts dessen, was sie getrennt und gemeinsam taten, konnte es gar nicht anders sein. Und doch gab es eine schlichte Vertrautheit zwischen ihnen, die eine beunruhigende Ähnlichkeit mit Zuneigung hatte. Solange sie Kampfgefährten waren, schienen sie unzertrennlich – es gab sogar skandalöses Gerede über »Liebe«.
    Aber Jeanne d’Arc war eine Jungfrau – Yolande d’Aragon hatte das selbst mit einer Untersuchung festgestellt, die so gründlich war, dass die Jungfrau sich angeblich beleidigt fühlte und sogar im Unterleib verletzt wurde –, Milord hingegen war ein verheirateter Mann, der nicht im Ruf eines Schürzenjägers stand. Ich habe nie davon gehört, dass er je eine andere Frau als Madame Catherine in sein Bett genommen hätte; viel öfters hieß es, dass er überhaupt keine Frau in sein Bett nehme, was mir mehr Sorgen machte, als wenn er es getan hätte. Und Madame Catherine war zwar eine wunderschöne Frau, aber von ganz anderem Wesen als Milord. Sie war still, höflich, freundlich und wohlwollend, ganz im Gegensatz zu ihrem aufbrausenden und abenteuerlustigen Gatten. Mir schien es, als gäbe es nichts, was er nicht versuchen würde.
    Für Etienne war das alles ruhmreich und prächtig; er konnte kaum aufhören, von den Dingen zu schwärmen, die er sah. Wie großartig das alles war, wie hervorragend wir alle waren, im Geist wie im Fleisch, ein riesiges Gefolge aus Soldaten und Edelleuten, Krieger, die endlich in einer einzigen Armee vereint waren. Schwertkämpfer, Bogenschützen, Fußsoldaten und Lanzenreiter, wir alle lebten unserem Rang entsprechend und waren bereit für die Schlacht.
    Blutgier lag in der Luft, sagte er, verstärkt noch durch die unvermittelte, erstaunliche Ankündigung jenes Tages, dass die

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