Die Schreckenskammer
Truppen nun endlich bezahlt würden, dank der Beiträge aus vielen edlen Truhen, die von Milord eingeschlossen. Alle Arten von Männern zogen hinter dieser einen kleinen Frau in die Schlacht: gute Männer, schlechte Männer, Diebe, Bettler, Väter, Söhne und Brüder, darunter auch Männer, die Geheimnisse vor allen außer vor Gott hatten. Viele Tunichtgute meldeten sich, darunter auch zwei in Milords Gefolge: seine Cousins Robert de Briqueville und Gilles de Sille – nie meine Lieblinge, als Erwachsene schon gar nicht, aber auch nicht, als sie noch Knaben waren. Es gab wenig, was an den beiden liebenswert war, beide hatten Eigenarten, die mich höchst nachdenklich stimmten, und ich war nicht die Einzige, der es so ging. Kein Mensch in Champtocé oder Machecoul schien sie zu mögen, ob nun einzeln oder gemeinsam.
Doch trotz all des Unfugs, den sie an beiden Orten anstellten, waren sie nie mehr als Gilles’ Schatten. Schon als Kind führte er sie herum wie Ziegen am Strick, und nie kam etwas Gutes dabei heraus. Wie oft während meiner Dienstzeit ertappte ich mich bei dem Wunsch, Gilles de Rais möge sich andere Spielkameraden suchen; die Gesellschaft mit meinem Michel schien das Gute in ihm hervorzubringen, die mit den Söhnen von Briqueville und Sille nur das Schlechte. Mit Michel konnte er ein braver Junge sein; mit seinen Cousins war er stets ein Schelm, verschlagen und gerissen.
Aber beide Cousins hielten sich wacker vor Orléans, das wurde zumindest berichtet; die Jungfrau schien alle, die unter ihrem Banner ritten, zu beflügeln, vom einfachsten Bauern bis zum höchsten Edelmann. Wie glorreich war die Erinnerung daran; wie stolz waren wir alle und wie schnell darin, einen Teil von Milords Ehre zu beanspruchen.
»Damals war er auf seinem Höhepunkt«, flüsterte ich gedankenverloren zu mir selbst.
Frère Demien sah mich besorgt an. »Wie?«, fragte er.
Für meine Ohren hatte es nicht so laut geklungen. »Ich sagte, er ist nicht auf der Höhe.«
»Ihr habt aber mehr gesagt.«
Ich schwieg. Und dann wandte ich den Kopf ab und schaute wieder zu Milord.
In meiner Ausrede hatte ich unbeabsichtigt etwas Wahres ausgesprochen: Er war zu dieser Zeit wirklich nicht auf der Höhe. Sein prächtiger Ornat konnte nicht verbergen, was wir alle in seinem Gesicht sahen. Er wirkte abgespannt und müde, älter als seine sechsunddreißig Jahre. Die Menge teilte sich weiter, um ihn durchzulassen, sowohl aus Verwunderung über seine schiere Anwesenheit, wie aus der Höflichkeit, die ihm dank seines Ranges zustand. Das Heilige Buch, das er trug, war in vergoldetes Leder gebunden, das Heft seines allgegenwärtigen Schwertes mit Juwelen jeder Form und jeder Farbe übersät. Aber der Träger all dieses Schmucks war ein erschöpfter und müder Mann.
Es hatte jüngst bestürzende Gerüchte gegeben, dass er einem jungen Zauberer verfallen sei, einem blendenden Halunken, den der Priester Eustache Blanchet für ihn auf einer Reise nach Italia aufgetan hatte. Das schien ein schrecklich weiter Weg zu sein, da es doch hier in der Gegend schon genug Halunken gab, doch offensichtlich konnte keiner unserer örtlichen Verführer Milord so reizen, der seit jeher dem Exotischen den Vorzug gab vor dem Alltäglichen.
François Prelati, so hieß der Zauberer. Ich sah die beiden einmal zusammen im Schloss von Machecoul, als Seine Eminenz mich in Staatsgeschäften dorthin mitnahm. So hingerissen ich auch war von der vertrauten Umgebung, konnte ich doch nicht umhin, den jungen Mann zu bemerken, der einen Platz an der Seite Milords gefunden hatte und diesen auch kaum mehr verließ. Er schien ein ganzes Stück jünger zu sein als Milord, etwa fünfundzwanzig, ein herausgeputzter Kerl mit erstaunlich schönen Zügen und schlanker Statur. Milord folgte ihm schamlos wie ein junges Hündchen. Es bereitete mir Unbehagen, die beiden zusammen zu sehen, denn es herrschte eine widernatürliche Ungezwungenheit zwischen ihnen, viel mehr als Gott zwischen Ehrenmännern gestattet. Milord erblühte, als würde er in Gegenwart dieses Prelati selbst wieder jung werden.
Jetzt kam dieser Milord mit bleiernen Schritten auf mich zu. Ich fühlte mich geneigt, den Blick abzuwenden, auch wenn ich nicht verstand, warum – vor mir war ein Mann, der beinahe mein Sohn war, und doch wollte ich aus einem unerfindlichen Grund seinen Blick nicht kreuzen, sollte er in meine Richtung wandern. Aber die Versuchung war zu groß, die Anziehungskraft zu stark; ich sah ihn direkt an,
Weitere Kostenlose Bücher