Die Schreckenskammer
er.«
»Ich frage mich, ob es wohl möglich wäre, dass ich einen Blick hineinwerfe?«
Mrs. Wilder erstarrte; das Zimmer war vermutlich so eine Art Heiligtum für sie. Sie sagte nichts, seufzte nur tief und deutete mit einer Kopfbewegung an, ich solle ihr folgen.
Gemeinsam stiegen wir die Treppe hoch und bogen nach links in einen langen, gut ausgeleuchteten Gang ein. Das Haus war hell und offen und hatte viele Fenster. Es sah nicht aus wie ein Trauerhaus. Der Boden war mit lachsfarbenem Spannteppich ausgelegt, der so weich war, dass ich meine eigenen Schritte nicht hören konnte, und an den Wänden hingen Fotos von wilden Tieren, jedes gerahmt in einer anderen Primärfarbe. Kinder mochten so etwas.
Larrys Zimmer war im Gegensatz dazu voll gestopft und unaufgeräumt. Auf dem Bett lagen Kleidungsstücke verstreut, Schuhe waren nachlässig einfach auf den Boden geworfen worden. Es sah aus, als hätte sie nichts angerührt. Ich tat so, als müsste ich mich abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während ich mir zwischen Videocassetten und Comicheften hindurch einen Weg suchte, und legte deshalb die Handfläche auf den Schreibtisch. Tatsächlich wollte ich die Oberfläche auf Staub prüfen. Ich betrachtete schnell meine Fingerspitzen, als Mrs. Wilder wegsah – sie waren sauber. Die Unordnung wirkte typisch für einen Jungen. Anscheinend hatte sie alles angehoben, die Oberflächen darunter abgewischt und alles wieder an seinen Platz gelegt.
Nach dem zu urteilen, was im Zimmer verstreut lag, hätte ich Larry Wilder für einen Stubenhocker gehalten. Es gab viel Computer-Zeug, darunter auch einen Joystick.
»Hat Ihr Sohn viele Videospiele gespielt?«
»Auf dem Computer, ja. Wir haben keins von diesen … ääh, Geräten, schätze ich, ich weiß nicht, wie ich die nennen soll … die man in den Fernseher einstöpseln kann.«
Sie sagte das ziemlich triumphierend. Schön für dich, dachte ich.
»Wir haben auch die Zeit begrenzt, die er im Internet sein durfte. Das Modem läuft über einen Timer. Wir hatten immer Angst, dass …«
Anscheinend konnte sie den Satz nicht beenden, aber ich wusste ziemlich genau, was sie sagen wollte. Larrys Eltern hatten Angst gehabt, dass irgendein elektronischer Mutant, ein Pädophiler, der sich als anderer Teenager tarnte, ihren Sohn in diesen unvorstellbaren Leerraum locken würde. Eine berechtigte Angst – wir in unserer Abteilung waren beständig auf der Suche nach Perversen, die sich der neuen, in Pädophilenkreisen immer beliebter werdenden Verführungsmethode bedienten: der Online-Maskerade.
Es sah inzwischen so aus, als hätte ich es mit einem Maskeradeur zu tun, aber der schien mit seinen Opfern nicht in einem Internet-Chatroom Kontakt aufzunehmen. Dieser Gedanke war fast eine Erleichterung, denn diese Typen gehören zu der schlimmsten Sorte Aufreißer – sie richten bei den Jungs, die sie bearbeiten, unglaublich viel Schaden an, nicht zuletzt dadurch, dass sie sie während des Verführungsversuchs von wirklich sinnvollen Tätigkeiten abhalten, auch wenn die Jungs nicht richtig anbeißen.
Aber es war auch eine gewisse Enttäuschung, denn wir haben unsere eigenen Aufreißer, Beamte, die als kleine Jungs posieren und so diese Perversen in eine Falle locken. Erst kürzlich hatten wir in unserer Abteilung einen solchen Fall – zu dem Zeitpunkt aß Escobar gerade einen Muffin und war deshalb lange genug an seinem Schreibtisch, um einen Anruf entgegenzunehmen –, bei dem der Vater eines Jungen argwöhnisch wurde, weil die Rechnung seines Internetproviders in einem Monat astronomische Höhen erreichte. Bevor er allerdings etwas zu dem Jungen sagte, rief er seinen Provider an und drohte mit seinem Anwalt, weil der Junge noch minderjährig war. Als der Junge sich nun in diesen Chatroom einloggen wollte, erhielt er einige Tage lang die Meldung SEITE IN BEARBEITUNG, er merkte also gar nicht, dass sein Zugang blockiert war. Der Vater gab diese Information an Escobar weiter, der die Online-Identität des Jungen annahm und es binnen einer Woche schaffte, mit dem Täter ein Treffen zu vereinbaren. Wir schnappten ihn auf dem Parkplatz eines Fast-Food-Restaurants. Der Kerl wollte sich darauf hinausreden, er sei zu einer strafbaren Handlung provoziert worden, doch der Richter lachte nur und behielt ihn in Haft. Damals glaubte ich fast wieder an die Gerechtigkeit.
»Ein Timer«, wiederholte ich nachdenklich. »Direkt am Verbindungskabel?«
»Ja. Unterbricht die Verbindung,
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