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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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noch?«
»Na ja –«
»Fred, Kenneth, Kalle –«
Er zuckte mit den Schultern und sah mich trotzig an.
»Hör zu … Nein, anders herum. Erzähl mir, wie du Torild
gefunden hast.«
Er knirschte mit den Zähnen. »Das hab ich den Bullen schon
hundertmal erzählt!«
»Mir auch«, sagte Vidar Waagenes, aber ich sah an seinem
Blick, daß er es gerne noch einmal hören wollte. »Aber trotzdem, Helge, es schadet nichts, es für Veum noch mal zu tun.«
»Na gut!« Sein Blick ging wieder in die Ferne. »Also – ich
war beim Joggen, letzten Donnerstag. Ich wohne noch zu Hause,
und ich laufe oft zum Fanafjell rauf, um ordentlich zu trainieren,
an zähen Steigungen.«
»Klingt vernünftig.«
»Aber dann, vielleicht hatte ich irgendwas gegessen, oder
irgendwelche Tabletten nicht vertragen – ich nehme ja so
einiges an Stärkungsmitteln. Ich mußte also – scheißen. Und mir
gefiel der Gedanke nicht recht, mich direkt neben die Straße zu
setzen, also ging ich rechts die Böschung runter. Und da unten
im Gebüsch sah ich plötzlich jemanden liegen.«
»Und du warst überrascht, weil es sogar jemand war, den du
kanntest?«
»Überrascht? Ich war wie gelähmt. Und ich wußte ja sofort,
wie ich dabei dastehen würde. Aber scheiß drauf, sagte ich …«
»Im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Ich konnte ja auch nicht einfach nichts sagen!«
Ich kratzte mich an der Wange. »Aber dir ist klar, in welche
Situation du dich selbst gebracht hast, und damit meine ich nicht
gegenüber der Polizei, sondern gegenüber Birger Bjelland &
Co.?«
»Nein, ich …«
»Dadurch, daß du Torild Skagestøl irgendwie ›gefunden‹ hast,
trägst du dazu bei, daß die ganze Operation Gefahr läuft,
aufgedeckt zu werden.«
»Operation?«
»Und ich garantiere dir, daß in dem Milieu Verräter nicht mit
Samthandschuhen angefaßt werden.«
»Verräter? Ich bin kein Verräter!«
»Nein? Es könnte jedenfalls sehr leicht so aufgefaßt werden!
Und ich garantiere dir – du bist nirgends sicher. Sie haben ihre
Leute, vielleicht nicht hier im Haus, aber wenn du ins Gefängnis
überführt wirst – Sie kriegen dich, Helge. Das laß dir gesagt
sein!«
Er drehte sich wieder zu Waagenes. »Aber ich hab sie doch
bloß gefunden!«
Vidar Waagenes seufzte. »Ja, das hast du die ganze Zeit
gesagt, Helge. Aber wenn es stimmt, daß du so tief in diesen
Kreisen drin bist – Veum hat recht. Das einzige, was dir helfen
kann, ist zu erzählen, wie es war. Wenn du lügst, riskierst du
ganz einfach, für etwas verurteilt zu werden, was du vielleicht
nicht einmal getan hast. Begreifst du das nicht? Die Polizei hat
sehr handfeste Indizien, es hat keinen Sinn, etwas anderes zu
behaupten.«
»Sie sind doch mein Verteidiger, oder etwa nicht?«
»Doch, aber wir befinden uns hier nicht im Gerichtssaal,
Helge. Jeder Anwalt wird seinem Klienten sagen, daß unter uns
alles auf den Tisch muß. Verstehst du? Das ist der einzige Weg,
wie wir dir helfen können.«
»Wenn es so ist, wie ihr sagt, dann spielt es ja wohl keine
Rolle, ob ich was sage oder nicht. Dann bin ich in jedem Fall
verratzt.«
»Du gibst ja zu, daß du Chauffeur für sie gewesen bist«, warf
ich schnell ein. »Also warum kannst du nicht zugeben, daß du
das diesmal auch warst? Daß du die Leiche von Torild da
raufgebracht hast, allein oder mit jemandem zusammen, und sie
abgeladen hast, und daß du später ein schlechtes Gewissen
bekamst – du bist schließlich mit ihr zusammengewesen! Sie
muß dir irgendwas bedeutet haben! Und deshalb hast du getan,
als hättest du sie gefunden. Aber du hast sie nicht umgebracht,
oder?«
Ich hatte schon früher Leute zusammenbrechen sehen. Es
geschieht nach einer Art Gesetzmäßigkeit. Wenn sie sich
tagelang, vielleicht wochenlang an die gleiche Lüge geklammert
haben, und jemand plötzlich den Riß im Deich findet und einen
Keil hineintreibt, dann bricht etwas in ihnen auf, und sie
erzählen alles, oft mit einem Ausdruck von fast rührender
Erleichterung.
Helge Hagaviks Machomaske zersprang, als sei sie aus Ton.
Er weinte wie ein kleines Kind, und Vidar Waagenes mußte
einen Arm um ihn legen und ihn trösten, so gut er konnte. In
einem anderen Zusammenhang hätte es komisch ausgesehen:
der kleine adrette Vidar Waagenes mit der dunklen Jungsfrisur,
der die Arme um das große, blonde Kind gelegt hatte, das sich
den letzten Rest der Solariumbräune aus der Brust weinte.
Ich selbst saß regungslos auf meinem Stuhl, mit demselben
bitteren

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