Die Schrift an der Wand
verändert. Åsa sah den Vater mit einem Spiegelbild desselben
Unglaubens an, mit dem er ein paar Minuten vorher sie angesehen hatte. Über Randi Furubøs Gesicht liefen leise Tränen.
»Trond … Das stimmt ja … Alles, was er sagt, stimmt … Du
warst an dem Abend überhaupt nicht zu Hause. Am nächsten
Tag warst du ganz unruhig beim Frühstück. Weißt du nicht
mehr, daß ich dich gefragt habe, ob es bei der Arbeit etwas
gegeben hätte? Du wurdest rasend vor Wut, als du hörtest, daß
Åsa an dem Tag in der Stadt war, und von Montag an … Es
stimmt alles!«
Ich lehnte mich etwas im Sessel zurück, trank einen Schluck
aus dem Bierglas und sah Trond Furubø abwartend an.
Er saß in einer Art Apathie da, grau im Gesicht und mit merkwürdig schiefen Lippen, fast wie nach einem Schlaganfall.
Schließlich wandte er sein Gesicht den beiden Frauen zu und
sagte mit heiserer Stimme: »Könnt ihr beide nicht ein bißchen
rausgehen? Nach unten? Über das hier muß ich mit ihm reden –
allein.«
52
Die beiden Frauen gingen zur Treppe, die in die untere Etage
führte. Randi Furubø versuchte, den Arm um die Schulter ihrer
Tochter zu legen, aber die Tochter entwand sich ihr mit einem
irritierten Seitenblick, als sei ihre Mutter an allem schuld.
Trond Furubø sah ihnen schwermütig nach und wandte sich
nicht eher wieder an mich, als bis er die Tür der Kellerstube
hinter ihnen zuschlagen hörte.
Der Blick, den er auf mich warf, kam aus einer merkwürdigen
Distanz, als stünde er am Ende eines langen, dunklen Korridors,
von wo aus er mich am anderen Ende kaum erkennen konnte.
Als er endlich sprach, war seine Stimme so leise, daß ich mich
vorbeugen mußte, um alles mitzubekommen, aber gegen die
Intensität des Tonfalls war nichts einzuwenden. »Verdammte
Scheiße, Veum, was ein Mann alles bezahlen muß!«
»Wofür denn?« fragte ich ruhig.
»Für dieses ganze verdammte Leben! Dafür, daß man sich mit
den Ellenbogen einen Platz zum Atmen in der Welt erkämpft,
oder um sich endlich einmal die Wurst dick aufs Brot legen zu
können.«
»Haben Sie es denn so schwer gehabt?«
»Schwer? Sie haben ja Scheiß noch mal keine Ahnung, wovon
Sie reden! Aber andere verurteilen, das können Sie.«
Ich schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe mich nie – oder
jedenfalls sehr selten – zum Richter über andere gemacht. Ich
kann sogar die Prostitution als Phänomen akzeptieren, solange
es sich um erwachsene Mädels handelt, die die Verantwortung
selbst tragen. Aber wofür ich nichts übrig habe, sind die
Zuhälter, die das dicke Geld damit machen, daß sie sie – ha! –
›beschützen‹, und ich habe genausowenig für die übrig, die sich
junge Mädchen kaufen, die kaum das sexuelle Mindestalter
erreicht haben und sie dazu bringen, unglaubliche Dinge mit
ihnen zu tun!«
»Ich habe sie nicht dazu gebracht – alles, was ich gekauft
habe, war reiner, purer Sex, als Ersatz für das, wovon ich hier zu
Hause schon lange nur noch geträumt hab!«
»Reiner, purer Sex. Sie haben nicht mal einen norwegischen
Namen dafür. Can’t buy me love, um in derselben Sprache zu
bleiben, stimmt’s?«
»Liebe!« schnaubte er verächtlich. »Das ist etwas, wovon
junge Mädchen in ihren Zeitschriften lesen, was sie im Kino
sehen oder auf Platten hören. Die Wirklichkeit sieht ganz anders
aus.«
»Die Wirklichkeit, das ist der Vater deiner besten Freundin,
der dafür bezahlt, mit dir zu schlafen – ist es das, was Sie
meinen?«
Er brach den Blickkontakt ab. »Genau das war ein Mißverständnis, Veum!«
»Ja? Kommen wir also vielleicht mal zur Sache? Es war im Pastell, stimmt’s?«
Er nickte. »Ich hatte nicht so viel Zeit, ein, zwei Stunden
höchstens, aber ich hatte ein Zimmer gemietet, wie …«
»Immer?«
»Nicht immer! Aber ein paarmal davor. Sie … Es kam ein
Anruf von der Rezeption, daß sie auf dem Weg nach oben war.
Als es klopfte … Wir haben uns beide mächtig erschrocken,
aber natürlich, in einer so kleinen Stadt wie dieser – daß du
eines Tages in dem Gewerbe jemanden triffst, den du kennst, so
unwahrscheinlich ist es ja nicht, oder? Ich meine, wissen Sie,
wer hinter all den Kontaktanzeigen steckt, die in der Zeitung
stehen?«
»Gut, und dann, was geschah weiter?«
»Sie … Zuerst wollte sie gehen, aber ich zog sie rein, machte
die Tür hinter ihr zu und preßte sie an mich – ›Onkel!‹ sagte sie.
So hat sie mich genannt, seit sie klein war – Ich sagte: ›Vergiß,
wer ich
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