Die Schrift an der Wand
leicht zucken ließ, dann
hatte er sie wieder unter Kontrolle.
Vor dem Tresen standen ein paar Barhocker, und ganz hinten
rechts entdeckte ich zwei runde Tische, an denen niemand saß.
Zwischen fünfzehn und zwanzig Jugendliche waren um die
Automaten versammelt, vier, fünf davon Mädchen. Eines der
Mädchen spielte zusammen mit einer Freundin. Es war Astrid
Nikolaisen.
Ich klimperte ein wenig mit ein paar Münzen, stellte mich vor
einem der Automaten auf und betrachtete die Standbilder, die
mich dazu verleiten sollten, mich in den Kampf zu stürzen und
die entführte Bankmagnatentochter zu finden und zu befreien,
irgendwo im Ghettoviertel einer amerikanischen Großstadt vom
Typ New York.
Der Titel leuchtete mir in Buchstaben wie bei einem mittelmäßigen Gruselfilm aus den 50er Jahren entgegen: RANSOM!
»Willste spiel’n?«
Ich sah auf den Jungen hinunter, der neben mir Platz genommen hatte. Er hatte glattes, helles Haar, einen langen, strähnigen
Pony und war um eine 9 im Nacken glattrasiert.
»Weiß nicht recht. Kannst du’s mir zeigen?«
»Hast du Geld?«
»Ich bezahl schon.«
Er schob mich behutsam zur Seite und benutzte seinen Zeigefinger. Seine blaue, seidig glänzende Fliegerjacke hatte eine
große grün- und orangefarbene Drachenfigur auf dem Rücken.
»Steck das Geld hier rein. One oder two player? «
»Äh … One.«
Er grinste. »Dann spiel ich alleine.«
»Du wirst auf eine ganz schöne Übermacht treffen.«
»Pöh. Ich weiß, wo die herkomm’.«
Und das wußte er wirklich. Nachdem er gewählt hatte, welche
Person er spielen würde, welche Waffen er gebrauchen und
welche Eigenschaften die wichtigsten sein würden (rohe Gewalt,
Intelligenz, Schnelligkeit), befand er sich plötzlich in einer
Seitenstraße im Ghetto. Bewaffnete Gangster tauchten von
überall her auf, hinter Hausecken und Abfalleimern, in den
Fenstern die Etagen hinauf und unter Kanaldeckeln. Der Junge
machte sie in einem rasenden Tempo nieder, und die Punktzahl
oben rechts in der Ecke schnellte nach oben, denn neue Horden
folgten.
Während er spielte, und ich so tat, als würde ich das Geschehen verfolgen, schielte ich aus dem Augenwinkel, um zu sehen,
ob irgendwo sonst im Raum etwas passierte, das mir nicht
entgehen durfte.
Der Mann hinter dem Tresen hatte sich wieder in die Zeitung
vertieft. Ein paar neue Spieler waren von draußen hereingekommen; einige standen da und zählten Münzen, um zu sehen,
ob sie genug hatten für eine weitere Runde.
Plötzlich begegnete ich dem Blick von Astrid Nikolaisen, die
sich mit einer Grimasse von dem Automaten abwandte, von dem
ihr das Endergebnis GAME OVER entgegenleuchtete.
Es vergingen ein paar Sekunden, bis sie mich wiedererkannte.
Aber da klappte ihr laut die Kinnlade herunter, und sie trabte auf
mich zu, als hätte sie vor, mir ihre neuen Zahnfüllungen zu
zeigen. »Was is’n das für’n Scheiß? Verfolgste mich, oder
was?«
Der Mann hinter dem Tresen sah auf und legte die Zeitung
beiseite.
Ich sagte ruhig: »Immer mit der Ruhe. Dies ist ein freies Land,
oder?«
»Nich’ für solche wie dich!« Sie drehte sich zum Tresen. Der
Mann dort war schon auf dem Weg um ihn herum. »He, Kalle.
Das hier is’n Schnüffler!«
Vom Automaten neben mir ertönte ein höllischer Krach. Ich
warf einen Blick auf den Bildschirm. Ein kolossaler Riese füllte
das Ende der Seitenstraße aus, wo er von meinem tapferen
Mitstreiter mit Maschinengewehrkugeln bepfeffert wurde, bis
die ganze Gestalt dastand und blinkte und zum Schluß zu einer
pulsierenden Ziffer auf dem Asphalt zusammenschrumpfte: 1000, 1000, 1000!
Der Mann, den sie Kalle genannt hatte, blieb vor mir stehen. In
aufgerichtetem Zustand wirkte er noch größer, und er stank aus
dem Maul nach Zwiebeln und Nikotin. »Was soll das heißen?«
»Das müssen Sie die junge Dame fragen! Ich bin hier, um zu
spielen.«
Der Junge neben mir blickte auf. »Wir sind zusamm’. Is’ mein
Onkel!«
Kalle sah mißtrauisch von dem Jungen zu Astrid Nikolaisen.
»Er war vor ’n paar Stunden bei uns und hat gesagt, er würd
nach Torild suchen!«
»Tor …«
»Du braust nur den Kenneth zu fragen!«
Er drehte sich wieder zu mir. »Stimmt das?«
»Hab ich gesagt, daß das nicht stimmt?«
»Er is’ mein Onkel!« sagte der Junge. Er war inzwischen in
einem großen Lagerraum und schickte einem der Gangsterbosse
eine abschließende Maschinengewehrsalve entgegen.
»Was red’ste ’n da für’n Scheiß, Ronny?!« fauchte Astrid
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