Die Schrift an der Wand
Nikolaisen. »Du hast doch überhaupt kein’ Onkel!«
»Hab ich nich’?« Rattatattataaaa! – Und er mähte vier, fünf
Gangster auf einen Streich mit dem MG nieder.
Kalle blinzelte mich an und legte den Kopf leicht schief.
»Bulle oder Sozialarbeiter?«
»Das letztere ist mein Beruf.«
»Dann stimmt es also, was Astrid sagt?«
»Es stimmt, daß ich bei ihr zu Hause war und ihr ein paar
Fragen gestellt habe, die eine Klassenkameradin von ihr
betreffen, ja. Einer der Namen, die während des Gesprächs
fielen, war der von diesem Laden hier.«
Er sah Astrid irritiert an.
»Ja und? Was soll damit sein?«
Ronny jubelte. Das Schlußbild auf dem Bildschirm zeigte die
Tochter des Bankmagnaten in heißer Umarmung mit ihrem
Retter, während die Botschaft BONUS 10000, BONUS 10000,
BONUS 10000!!! über den Bildschirm flimmerte.
Kalle zeigte mit einem dicken Finger auf ihn. »Und du!
Brauchst dich hier nicht mehr blicken zu lassen!«
»Sprechen Sie nicht so mit meinem Neffen!« sagte ich.
»Häh? Is’ er wirklich … Ich rede, wie ich will, scheißegal mit
wem!«
»Wieso legst du dich hier eigentlich so ins Zeug«, fragte ich
mit sanfter Stimme. »Hab ich etwa nicht für das Spiel gezahlt?
Hast du vielleicht was zu verbergen?« Ich machte eine extra
große Nummer daraus, einen forschenden Blick durch das Lokal
zu werfen.
Jetzt hatten sich mehrere Jugendliche um uns versammelt, die
meisten als neugierige Zuschauer, aber ein paar mit einem
Gesichtsausdruck, als warteten sie nur darauf, mitzuhelfen, mich
vor die Tür zu setzen.
»Haste jetzt fertiggeglotzt?«
»Astrid hat selbst den Namen dieser Freundin genannt. Torild.
Du weißt, wer das ist?«
»Ich kenn wohl verdammt noch mal nich’ die Namen von
allen, die hier rumlaufen!«
»Nein?« Ich wandte mich an Astrid. »Vielleicht kannst du ihm
erklären, wer sie ist?«
Sie sah unsicher von mir zu ihm. »Torild. Die, die … Eine von
denen, mit denen ich immer zusammen bin.«
Er räusperte sich häßlich. »Tja, egal, wer’s is’, ich hab dir
nichts über sie zu erzählen. Wenn sie von zu Hause abgehauen
is’, dann …« Er zuckte mit den Schultern.
»Hab ich was davon gesagt, daß sie von zu Hause weggelaufen ist?«
Sein Blick wich zur Seite. »Ja? Haste nich’ deshalb …«
Astrid sah ihn mit leerem Blick an. Keiner von beiden war ein
besonders geschickter Lügner.
Ronny zupfte mich am Jackenärmel. »Woll’n wir weiterspiel’n, Onkel?«
Ich schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht, Ronny. Ein andermal.«
»Versprochen?«
»Ja.«
»Na dann, tschüs!« Etwas beklommen schlenderte er zurück
zu den Kumpels, mit denen er gekommen war.
Plötzlich klingelte das Telefon hinter der Theke. Kalle sah
mich an und nickte zum Ausgang. »Das is’ die Tür.«
Ich rührte mich nicht. »Das sehe ich.«
Einen Augenblick lang standen wir da und starrten einander
an, und ich sah, wie sich die Muskeln in seinen Oberarmen
spannten. Dann drehte er sich abrupt zur Theke. »Jajaja, ich
komm ja schon!«
Ich folgte ihm, während sich die Horde von Jugendlichen
langsam zerstreute. Als er den Hörer abnahm, drehte er sich zu
mir um und starrte mir wütend ins Gesicht.
» Jimmy! Ja. Nein, nich’ jetzt. Nein. Ich erklär’s dir später. Ja.
Okay. Tschüs!«
Er knallte den Hörer auf und zischte: »War sonst noch was?«
»Einen Hot dog, nur mit Ketchup, bitte!«
Er stemmte die großen Fäuste gegen die Theke, als wollte er
drüberspringen.
»Übrigens«, sagte ich, »ich glaube, ich laß es. Ich traue mich
nicht recht …« Ich schielte kurz hinter die Theke. »Lange her,
daß ihr Besuch vom Gesundheitsamt hattet, was?«
»Wenn du jetzt nich’ verdammt schnell durch die Tür da
hinten verschwindest, dann dauert es jedenfalls nich’ lange, bis
sie dich besuchen! Klar?«
»Klar … This town ain’t big enough for both of us. Das bedeutet …«
»Ich kenn den Film!«
»Ich auch. Aber haste den Abspann mitgekriegt?«
»Absp …«
»Da, wo steht, wer das Drehbuch geschrieben hat. Und das
warst verdammt noch mal nicht du, Kalle!«
Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging zur Tür. Aber
ich warf einen schnellen Blick hinter mich, um sicherzugehen,
daß mir niemand THE END in den Nacken schmiß.
10
Vor dem Jimmy hielt ich einen Augenblick inne und überdachte
die Situation.
Bis jetzt hatte ich keine großen Fortschritte gemacht. Ich
könnte für heute Feierabend machen, ins Büro gehen und die
leeren Felder in meinem Fragebogen mit Tipp-Ex ausfüllen.
Oder ich
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