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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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vorbei, ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Ich atmete erleichtert auf, froh darüber, daß sie noch in
dem Alter war, in dem man die über Zwanzigjährigen kaum
wahrnimmt. Dann ging ich schnell in die entgegengesetzte
Richtung.
Die Freundin bog gerade um die nächste Straßenecke, und ich
erhöhte mein Tempo.
    Als ich selbst um die Ecke kam, sah ich noch ihren Rücken,
der gerade durch den Haupteingang des renommierten Hotels
verschwand.
    Ich folgte ihr weiter. Durch die großen Glasfenster konnte ich
sie durch die Rezeption und in einen offenen Fahrstuhl gehen
sehen, ohne sich auch nur mit einem Blick an die Rezeptionsangestellten zu wenden.
    Die Fahrstuhltür glitt hinter ihr zu, und ich verfolgte die Zahlen auf der Anzeigetafel daneben: dritter, vierter, fünfter Stock.
Ich sah auf die Uhr. Es war 17.20.
Unwillkürlich sah ich die Fassade hinauf, als sei irgendwie zu
erwarten, daß sie an einem der Fenster auftauchen und mir
zuwinken würde.
Der Name des Hotels stand in großen Buchstaben über dem
Eingang.
Zum zweiten Mal an diesem Tag ertappte ich mich beim
Gedanken an den Richter H. C. Brandt. In ebendiesem Hotel
hatte er den Tod gefunden, vor knapp einer Woche.
Vorigen Freitag, oder?
Aber Torild Skagestøl war am Donnerstag verschwunden,
jedenfalls von zu Hause.
Den Kopf voller neuer Ideen machte ich mich auf den Weg
zurück zu meinem Büro.
Unten öffnete ich den Briefkasten und blätterte schnell den
Stapel Post durch. Ein Prospekt, drei weitere Reklamesendungen, zwei Rechnungen und ein ganz weißer, neutraler
Umschlag, auf dem mein Name in Maschinenschrift geschrieben
stand.
Ich entledigte mich der PR-Kampagnen, steckte die Rechnung
in die Manteltasche und schaute auf die Rückseite des Briefumschlags, während ich auf den Fahrstuhl wartete.
Kein Absender, aber in Bergen abgestempelt.
Im dritten Stock stieg ich aus dem Fahrstuhl, ging den Korridor entlang und schloß mein Büro auf.
Drinnen blinkte das Lämpchen des Anrufbeantworters. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, eine Nachricht zu
hinterlassen. Ich hängte meinen Mantel auf, setzte mich hinter
den Schreibtisch, griff nach dem Brieföffner und schlitzte den
weißen Umschlag auf.
Darin lag ein einsames, zusammengefaltetes Blatt Papier.
Ich faltete es auseinander.
Jemand hatte per Computer eine einfache, standardisierte
Todesanzeige aufgesetzt:
    †
Unser aller Freund
Varg Veum
ist heute plötzlich von uns gegangen
24. Februar
Niemand
    Ein Schreck fuhr mir in die Glieder, und ich sah automatisch auf
die Uhr. Das Datum zeigte den 18.2. – der 24. war nächste
Woche Mittwoch.
    Dann kam der Schock, wie mit wohldosierter Verspätung. Ich
fühlte, wie ein Zittern mich erfaßte, und die Hand mit dem
weißen Blatt Papier unwillkürlich zu zittern begann, wie bei
einem Greis in der Abteilung für Altersdemenz. Eine heftige
Übelkeit überkam mich, und die Buchstaben flimmerten vor
meinen Augen, als ich endlich mit großer Kraftanstrengung den
Blick wieder scharf stellen konnte.
Ich atmete tief ein und aus, einmal, zweimal, drei …
Das war ein Scherz, natürlich. Makaber, aber ein Scherz.
    Oder?
Eine Warnung?
Und wenn ja, von wem?
Und warum?
Mit matten Bewegungen spulte ich das Band des Anrufbeant
worters zurück, um zu hören, welche frohen Botschaften dort
verborgen liegen mochten.
    Es war nur eine: dieselbe, fast digital klingende Orgelmusik
wie beim letzten Mal.
»Oh, verlaß mich nicht.«
Und jetzt hatte ich einen Verdacht, an wessen Beerdigung sie
dabei dachten.
11
    Bevor ich das Büro verließ, rief ich Kari Bjørge, meine feste
Freundin im Einwohnermeldeamt an und fragte, ob sie am
Abend schon etwas vorhabe.
    Das hatte sie. »Ich habe Eva versprochen … Sie hat zwei
Karten für das Konzert in der Grieghalle, und ich glaube, sie
braucht Gesellschaft.«
    »Ich verstehe.«
Sie durchschaute meinen Tonfall und fügte schnell hinzu:
»Aber ich kann es sicher verschieben, wenn du …«
»Neinneinnein! Auf keinen Fall.«
Sie zögerte ein wenig. »Wir können uns morgen sehen, oder
    nicht?«
»Doch, sicher! Ist es ein gewöhnliches Philharmonie
Konzert?«
»Ja.«
»Na dann viel Spaß.«
»Danke dir.«
Und so ging ich also doch nach Hause.
Ich untersuchte die Eingangstür sehr gründlich, bevor ich
aufschloß, ging langsam und vorsichtig von Zimmer zu Zimmer,
schob die Türen bis ganz an die Wand auf und schaltete das
Licht ein, bevor ich eintrat.
Die Wohnung war leer wie ein Pfadfindergelübde nach zwanzig Jahren.
Ich schmiß

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