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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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eine Frau auf, die aus
einem Eingang auf der anderen Straßenseite kam, mit gerötetem
Gesicht und aufgelöstem Haar. Sie sah verstohlen in beide
Richtungen, bevor sie den Mantelkragen um den Hals zog und
davoneilte; fast als käme sie von einem heimlichen Rendezvous.
Aber es war wohl doch nur die Ballettstunde gewesen.
8
    Das Ledergeschäft bestand aus zwei Abteilungen. Die eine war
für Jugendliche und eher durchschnittliche Steuerzahler, mit
Sonderangeboten bis knapp unter einem Tausender. Die andere
war äußerst exklusiv und lag buchstäblich eine Ebene über dem
Rest des Ladens.
    Das junge Mädchen, dem ich mein Anliegen mitteilte, befand
sich auf der untersten Ebene, aber sie schüttelte auf meine Frage
hin verständnislos den Kopf und verwies mich rasch an die
Geschäftsführerin, die in der oberen Region waltete.
    Der charakteristische Geruch von Haut und Leder wurde mit
jedem Schritt, den ich weiter in den Laden tat, stärker. Als ich
die vier Stufen zur Oberklasse hinaufstieg, fiel mir ein anderer,
unbestimmbarerer Geruch auf, der mich ein wenig an Formalin
erinnerte; wahrscheinlich kam er von den Pelzen, die hier
mehrere Ständer füllten. Ich fand die Geschäftsführerin in einem
Mittelding zwischen Büro und Glasvitrine am Ende des Raumes.
    Es war eine dieser äußerst gut restaurierten Frauen, blaßhäutig
und mit einem schwachen Rotton im Haar, deren Alter die
zweite Hälfte der Vierziger nie zu überschreiten scheint. Sie sah
aus, als sei sie in einem Kosmetiksalon geboren und aufgewachsen, ein Luxustier, das mit einer locker über die Schultern
geworfenen Pelzjacke hingegossen, mit einem Glas Champagner
in der Hand in einer Sofaecke sitzend und nicht den Alltag in
etwas so Vulgärem wie einer Boutique verbringen sollte. Der
rostrocke Lederrock und die hellgrüne Seidenbluse ließen darauf
schließen, daß sie wahrscheinlich auch in der Wahl ihrer
Dessous sehr anspruchsvoll war. Vielleicht fiel mir gerade
deshalb plötzlich der Richter H. C. Brandt ein. Wo hatte wohl er
seine Einkäufe gemacht?
    Der Blick, mit dem sie mich maß, ordnete mich schnell in die
Kategorie Laufbursche mittleren Alters ein. Ihre Stimme war
kristallklar und kühl, als sie sich hinter dem dunkelbraunen,
schmalen Schreibtisch erhob. »Womit kann ich Ihnen behilflich
sein?«
»Mein Name ist Veum. Varg Veum.«
    Ich streckte die Hand aus, und sie reichte mir ihre zu einem
schnellen Händedruck, ebenso kühl wie ihr Blick, ohne sich die
Mühe zu machen, sich vorzustellen.
    »Es geht um diesen Ladendiebstahl …«
Sie hob die Augenbrauen. »Wovon sprechen Sie?«
»Gestern war ein Vater hier, nicht wahr? Um einen Diebstahl
    zu bereinigen, den seine Tochter begangen hatte.«
»Oh, Sie meinen …« Es bildeten sich winzige Blüten über
ihren hohen Wangenknochen. »Das war sehr unangenehm. Und
noch viel unverständlicher.«
     
»Unverständlich?«
    »Sie kamen hier an … Wer hat denn überhaupt Anzeige
erstattet? Wir haben jedenfalls nicht …«
»Es geht eigentlich um ein anderes Mädchen aus demselben
Milieu.«
Auf ihrer Stirn bildete sich eine nachdenkliche, geschwungene
Furche, fast wie ein Unendlichkeitszeichen. Dann blieb sie vor
einem der Ständer stehen. »Sehen Sie mal hier. Bei den Werten,
die wir hier hängen haben, treffen wir die strengsten Sicherheitsvorkehrungen.« Sie zog eines der Kleidungsstücke hervor,
eine kurze, grüne Lederjacke mit äußerst delikaten Stickereien
am Bund. Mit langen, weißen Fingern, deren Nägel das gleiche
Rot aufwiesen wie der Rock, zeigte sie mir, wie die Jacke mit
einer Kette am Ständer befestigt war. »Das tun wir, damit
niemand einfach so hereinkommen, ein paar Sachen an sich
reißen und wieder weglaufen kann. Zusätzlich ist jedes Teil mit
einer Alarmplakette gesichert, die zu piepen beginnt, wenn man
versucht, durch die Tür zu gehen, ohne bezahlt zu haben.«
»Und die hängt auch dran, wenn man etwas anprobiert?«
»Natürlich. Außerdem … Wir sehen uns unsere Leute ganz
genau an.« Dabei maß sie mich mit einem scharfen Blick. »In
dieser Branche wird man schnell zu einem Menschenkenner.«
»Aber wie hat Åsa es geschafft? Das junge Mädchen, von dem
ich sprach.«
»Tja, das ist eine gute Frage!« Sie sah mich mit deutlich
ironisch hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ja, ich frage – Sie.«
»Es war schlicht und einfach gar kein Diebstahl.«
»Nein?«
»Wir haben mit der Verkäuferin gesprochen, die ihr die Jacke
verkauft hat. Sie

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