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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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einen Veum Special zusammen: Porree und gehackte Tomaten in der Pfanne geschmort, dann Rührei
darübergegossen und das ganze zu einer Art Omelette verwan
delt, chaotisch anzusehen, aber rund im Geschmack.
Ich setzte einen Kaffee auf und blieb bei einer Fernsehdiskussion sitzen, die so tiefsinnig war wie eine Gratisnummer auf der
Reeperbahn. Danach schenkte ich mir einen Aquavit ein, legte
eine Ben-Webster-CD ein und holte mir ein Buch vom Wartestapel auf meinem Nachttisch.
Aber ich konnte mich nicht konzentrieren.
In mir rumorte ein schlechtes Gewissen, ein Gefühl, an das ich
seit der Zeit beim Jugendamt so gewöhnt war. Eigentlich sollte
ich wirklich nicht hier sitzen und mich ausruhen. Ich sollte
unterwegs sein und nach Torild suchen.
Von dem alten Mann ein Stockwerk unter mir hörte ich nichts.
Er war vor ein paar Jahren Witwer geworden, und danach waren
die einzigen Geräusche von unten das Öffnen einer Bierflasche,
oder wenn er selten einmal um sechs Uhr morgens das Radio
etwas zu laut aufdrehte.
Um halb zwölf klingelte es plötzlich unten an der Tür.
Ich ging zum Fenster, öffnete es vorsichtig und spähte hinunter. Es war Karin.
»Hallo«, lächelte sie im Abenddunkel zu mir herauf. »Störe
ich?«
Ich ging hinunter und machte ihr auf. Sie kam herein und gab
mir einen schnellen Kuß. »Du hast dich angehört, als brauchtest
du Gesellschaft.«
Wir gingen nach oben, und sie hängte ihren dunklen Mantel
im Flur auf. »Ich hab meine Zahnbürste mitgebracht«, sagte sie
mit einem kleinen Lächeln.
Ich küßte sie sanft. »Zahnbürste und gute Laune. Viel mehr
braucht man nicht.« Eine leichte Wolke von Rotweinduft umgab
sie. »Kann ich dir etwas anbieten?«
Sie sah mich fröhlich an und erwiderte meinen Kuß mit geöff
neten Lippen. »Ja …«
Im Schlafzimmer zogen wir einander langsam aus. Ich legte
sie auf das Bett, strich mit der Zungenspitze über ihren Bauch
hinunter, teilte vorsichtig ihre Schamlippen und küßte sie noch
einmal, mit Gefühl. Sie seufzte mit dem ganzen Körper, spreizte
die Beine noch weiter und verschlang mich mit gierigen Lippen,
wie nach langer Entbehrung.
»Eva und ich sind einen Wein trinken gegangen nach dem
Konzert«, sagte sie später. »Ihr Mann hat sie verlassen wegen
eines Mädchens, das seine Tochter sein könnte.«
»Ein klügerer Mann als ich hat einmal gesagt: Wenn du älter
wirst und vernünftig bist, werden die Frauen, auf die du fliegst,
älter sein als du.«
Sie schmiegte sich ganz in meine Achselhöhle, küßte mich
unter dem Ohr und sagte: »Also deshalb läuft es mit uns beiden
so gut …«
»Mmh.«
Am nächsten Morgen benutzte sie ihre Zahnbürste, küßte mich
wieder, und wir gingen gemeinsam in die Stadt. Deshalb sah ich
die Titelseite der Zeitung erst, als ich schließlich in mein Büro
kam. Aber da traf mich dann die größte Schlagzeile wie ein
dumpfer Schlag zwischen die Augen:
JUNGES MÄDCHEN TOT AUF DEM FANAFJELL
GEFUNDEN.
12
    Sidsel Skagestøl nahm sofort nach dem ersten Klingeln den
Hörer ab, als hätte sie daneben gewacht. Ihre Stimme klang laut
und angespannt. »Hallo?«
    »Hier ist Veum.«
»Oohh.« Der Fall in der Intonation war so deutlich, daß ich ihn
fast vor mir sah. »Das … Ich dachte, es sei Holger.« Dann nahm
sie sich zusammen. »Gibt es etwas Neues?«
»Nein, leider nicht. Ich habe sie nicht gefunden, wenn Sie das
meinen.«
»Ja, ich … Holger ist gerade unten.«
»Bei der Polizei?«
»Ja. Er …« Ihre Stimme erstarb.
»Ich habe den Artikel in der Zeitung gesehen.«
»Es ist ja überhaupt nicht sicher, daß sie es ist!«
»Natürlich nicht. Sie … Das Mädchen muß ja in jedem Fall
erst mal identifiziert werden.«
»Ja.«
»Kann ich etwas für Sie tun?«
»Im Moment nicht.« Aber sie fügte hinzu: »Haben Sie überhaupt etwas herausbekommen? Wo sie sein könnte?«
»Nein, aber ich bin dabei.«
»Ich glaube, ich muß auflegen, Veum, damit die Leitung frei
ist, wenn er anruft.«
    »Ja. Wenn irgendwas sein sollte, dann haben Sie bitte keine
Skrupel, anzurufen. Wenn der Fall schon – abgeschlossen sein
sollte, dann haben Sie sogar Anspruch darauf, noch Geld
zurückzubekommen. Ich werde eine detaillierte …«
»Schon in Ordnung, Veum. Bis dann.« Ohne weitere Höflichkeitsformeln legte sie auf.
    Ich legte den Hörer vorsichtig auf die Gabel, blieb sitzen und
sah aus dem Fenster. Es fielen vereinzelte Schneeflocken auf die
Stadt, nicht viel mehr als die Asche eines erloschenen Lagerfeuers irgendwo oben im Himmel. Die

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