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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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hier …«
Er legte seine Hand im Rücken auf die Hüfte, ganz rechts außen.
Im Blick, den er mir zuwarf, blitzte eine Mischung aus Angst
und Bitterkeit. »Hier hatte jemand, irgendwer, ein Zeichen in
ihre Haut geschnitten.«
Ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam. Es prickelte in der
dünnen Hautfalte zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ein
Zeichen?«
»Wie das Brandmal bei einer Kuh!«
»Aber wie – wie sah es aus?«
»Ungefähr so ähnlich wie ein umgekehrtes Kreuz.«
»Ich verstehe.«
»Tatsächlich, Veum? Verstehen Sie wirklich?« Er zischte
mich fast an.
Das klang so scharf, daß seine Frau uns das Gesicht wieder
zuwandte und mit kläglicher Stimme sagte: »Worüber sprecht
ihr?«
Skagestøl trat schnell zu ihr. »Es ist nichts, Liebes, gar nichts.«
»Gar nichts?« wiederholte sie, als habe sie das Wort noch nie
gehört.
Ich blieb am Fenster stehen. Er beugte sich hinunter, legte die
Arme um sie und zog sie an sich.
Ich drehte mich zum Fenster und sah hinaus. Einen Moment
lang fragte ich mich, wer sich um die anderen Kinder kümmerte.
Aber vielleicht hatte man ihnen noch nichts gesagt. Vielleicht
waren sie noch nicht aus der Schule zurück.
Ich bekam die Antwort auf meine Frage schneller, als ich
erwartet hatte.
»Ich will es sehen!« rief plötzlich Sidsel Skagestøl hinter mir.
»Ich will, Holger! Ich will! «
»Ist ja gut, Sidsel, ist ja gut«, versuchte er sie zu beruhigen. Er
sah entschuldigend zu mir auf, als ich mich ihnen wieder
zuwandte.
»Ich will sehen, wo sie gefunden wurde!«
»Aber wir müssen hier sein. Vibeke und Stian kommen bald
nach Hause, und wir …«
»Ich will nicht hier sein! Wie soll ich es ihnen denn sagen?«
»Du brauchst es nicht, ich werde …«
»Ich …« Sie stand mit einer abrupten Bewegung auf. »Ruf mir
ein Taxi!«
»Ein Taxi? Aber …«
Sie stand erhobenen Hauptes da. Plötzlich erinnerte sie mich
an eine betrunkene Frau, die plötzlich beschlossen hat, von
einem etwas zu feuchten Nachspiel nach Hause zu gehen. »Du
kannst mich nicht dran hindern, Holger!«
»Nein, dran hindern …«
»Wir sind noch nicht einmal mehr verheiratet!«
»Nur getrennt«, murmelte er.
Es war, als ginge ihr jetzt erst auf, daß ich auch da war, und sie
hielt meinen Blick fest. »Sie können mich fahren, Veum!«
»Ich! Aber ich … Meinen Sie nicht, Sie sollten …« Ich sah
ihren Mann an. »Sie sollte sich hinlegen.«
Er griff vorsichtig nach ihrem Arm, aber sie zog ihn mit einer
dramatischen Geste weg. »Nein, hab ich gesagt! Nein, nein,
nein! Ich schreie!«
Holger Skagestøl sagte leise: »Vielleicht ist es am besten …
Vielleicht tut es ihr gut, und dann hab ich die Kinder für mich,
erst einmal.«
Sie sah mich wieder mit diesem aufgeregten Ausdruck an, als
habe sie überhaupt nicht gehört, daß er etwas gesagt hatte. »Na?
Was ist?«
Ich hob resigniert die Arme. »Na gut. Ich kann Sie natürlich
hinfahren, wenn Sie meinen, Sie …« Ich dämpfte die Stimme.
»Aber ich bin ganz und gar nicht sicher, ob es der Polizei
gefällt.«
»Der Polizei? Was hat die damit zu tun?«
»Na ja, jetzt ist es doch schließlich ein Fall für die Polizei,
oder?«
»Aber sie ist un …, sie ist meine Tochter, oder?«
Ich nickte. »Doch, zweifellos.«
»Also fahren wir?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sie sich zur Tür und
ging. Gehorsam, als sei ich ihr Hund, folgte ich ihr, mit einem
entschuldigenden Blick in Richtung des unfähigen Dompteurs,
der zurückblieb, um auf die Kinder zu warten. Die anderen
Kinder.
15
    Ich hielt ihr die Wagentür auf. Sie stieg ein und hatte schon
gesetzestreu den Sicherheitsgurt angelegt, bevor ich um den
Wagen herum auf meinen Platz hinter dem Steuer angekommen
war.
    Als ich den Motor anwarf, fragte sie: »Wissen Sie, wo wir hin
müssen?«
»So ungefähr.«
Dann sagte sie nichts mehr, bis wir vor der Kreuzung in
Paradis auf Grün warteten. »Man sollte doch meinen, daß eine
Krisensituation wie diese eine schlechte Beziehung wieder
kitten könnte.«
Ich schielte zu ihr hinüber. »Oft tut sie das.«
»Mmh«, sagte sie nachdenklich, mehr zu sich selbst.
Ich bog bei Hopskiftet nach rechts ab und folgte der Autobahn
in Richtung Rådal. Die weißen Schneeflocken tupften einen
Grauton in die Landschaft, wie auf einem alten Kupferstich.
Sie saß ganz stumm neben mir und atmete gleichmäßig und
ruhig. Es war, als habe sie die unterdrückte Hysterie hinter sich
gelassen, sobald wir das Haus in Furudal verließen. Jetzt waren
wir eher

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