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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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konnte. »Wir haben uns sicher noch nicht
richtig vorgestellt.«
»Nein.« Er stand auf und kam um den Schreibtisch herum.
»Oberkommissar Atle Helleve«, sagte er in unverfälschtem
Vossdialekt.
Wir gaben uns die Hand. »Ich bin Veum. Varg Veum.«
»O ja, Sie waren das, der … Ich habe von Ihnen gehört.«
»Das habe ich befürchtet. Wenn es nicht von Vadheim …«
»Nein, ich …« Sein Gesicht verdunkelte sich. »Ich bin ihm nie
begegnet, bevor …« Er machte eine vage Bewegung mit der
Hand.
Ich seufzte, und er riß sich zusammen. »Wollten Sie sonst
noch etwas?«
»Nein, ich wollte nur guten Tag sagen, im Vorbeigehen.«
»Guten Tag.«
Ich nickte, lächelte schief und wanderte weiter nach draußen,
ohne daß jemand hinter mir herlief, um mich festzuhalten, mich
in Gewahrsam zu nehmen oder mir sonst irgendein Angebot zu
machen, das ich nicht ablehnen konnte.

14
    Das Herz war mir schwer, als ich vor dem abschüssigen Nachbargrundstück im Furudal parkte. Langsam ging ich durch die
Pforte zum Eingang und zögerte ein wenig, bevor ich klingelte.
    Holger Skagestøl öffnete selbst. Sein mageres Gesicht war
jetzt bis auf die Knochen scharf geschnitten, und es lag ein Zug
von Verkniffenheit um seinen Mund, der vielleicht noch nie so
deutlich gewesen war. »Ja?« fragte er unwirsch, bevor er mich
wiedererkannte. »Ach, Veum.«
    »Ich hoffe, ich bin nicht aufdringlich.«
Er sah mich mit toten Augen an.
»Ich wollte nur sagen, daß es mir leid tut. Es ist so furchtbar
    und traurig. Sie war noch so jung.«
Er verzog keine Miene.
»Ich … Wenn Sie Ihrer Frau einen Gruß von mir ausrichten
    könnten –«
Plötzlich schien wieder Leben in ihn zu kommen. Ein kurzer
    Ruck ging durch seinen Körper, er trat zur Seite, öffnete die Tür
weit und sagte: »Sie können ihn sei … Kommen Sie nur rein,
Veum.«
Ich trat zögernd in den Flur. »Ich möchte wirklich nicht –«
Er schloß die Tür hinter uns. »Nein, nein, es ist völlig in
Ordnung. Gehen Sie nur hinein.« Er nickte in Richtung Wohnzimmer.
    Sidsel Skagestøl saß auf der dunkelgrünen Couchgarnitur, wie
bei meinem letzten Besuch. Ohne daß sie es bemerkte, fiel
Asche von der brennenden Zigarette in ihrem Mund auf den
weißen Pullover herunter.
    Als ich den Raum betrat, hob sie den Kopf und sah mich an,
mit dem glasigen Blick eines Menschen, der eine kräftige Dosis
Beruhigungsmittel eingenommen und noch immer das Bedürfnis
nach mehr hatte.
Ich trat näher und streckte ihr die Hand entgegen. »Frau
Skagestøl …«
    Sie nahm mit der einen Hand die Zigarette aus dem Mund und
gab mir die andere, als wisse sie nicht genau, wohin sonst damit.
Ihre Hand war kalt und feucht, und ich nahm sie in beide
Hände. »Ich finde keine Worte, es ist furchtbar.«
Ich hörte, wie Holger Skagestøl sich hinter mir bewegte, etwas
unruhig, als frage er sich, was sie wohl sagen würde.
Sie öffnete den Mund. Die Lippen sahen trocken aus, und sie
ließ die Zungenspitze suchend darübergleiten, bevor sie sagte:
»Torild, sie …«
»Ja, ist schon gut, Sidsel, Veum weiß alles«, sagte Skagestøl.
»Sie ist nicht mehr da«, fuhr Sidsel Skagestøl fort, als habe er
gar nichts gesagt.
»Ich hatte gehofft, ich könnte sie finden, bevor so etwas
passiert.«
»Sie sind zu spät dazugekommen, Veum. Da war es längst
passiert.«
Ich drehte mich ein Stück auf ihn zu. »Hat man Ihnen gesagt,
wann?«
»Nein, nein!« sagte er schnell. »Aber … Vor mehreren Tagen
jedenfalls. Daran bestand für den Pathologen kein Zweifel.«
»Ja, Sie waren ja da und …«
Ich sah hinunter auf Sidsel Skagestøl. Sie saß da und rauchte
angestrengt und ganz in sich versunken.
Ich trat ein wenig beiseite und dämpfte die Stimme. »Sie
haben sie gesehen –«
Er nickte und zog sich fast bis an das große Fenster zurück.
»Sie sah nicht schön aus. So möchte man seine …«, seine
Stimme brach, und er mußte sich zusammenreißen, um den Satz
zu vollenden, »… Tochter nicht sehen.«
»Nein.«
»Sie …« Er hielt eine Hand vor das Gesicht. »Sie war ganz
aufgequollen im … Und sie hatte blaue Blutergüsse auf der
Haut.«
Ich sah ihn an. Er kämpfte mit sich, um die Gesichtsmuskeln
unter Kontrolle zu behalten. »Es war widerlich! Sie zeigten mir
Bilder vom Fundort … Ihre Kleider … Sie waren hochgezogen
… Das Hemd, die Jacke … Aber die Hose war runtergezogen,
und sie war na … Hatte nichts darunter an. Lag auf dem Bauch
mit dem Gesicht nach unten und … Hier, Veum, genau

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