Die Schrift an der Wand
Demonstration eine polizeiliche Genehmigung habt?«
Evy Berge zog einen Briefumschlag aus der Tasche und
wedelte damit vor seinen Augen herum. »Mit Stempel und
Unterschrift! Du kannst ruhig nachsehen!«
Er betrachtete sie mit kohlschwarzen Augen. »Und wie lange
gedenkt ihr uns, die wir hier im Viertel wohnen, noch um den
Nachtschlaf zu bringen?«
»Um den Nachtschlaf bringen, dich!« piepste es von ziemlich
weit hinten aus dem Haufen, und ein glucksendes Lachen
breitete sich in der Gruppe aus.
»Wir haben die Genehmigung, bis Mitternacht weiterzumachen«, sagte Evy Berge.
»Geh doch nach Hause und sieh dir so lange einen Pornofilm
an!« rief eines der Mädchen, die behaupteten, sie bliesen gratis.
Der Mann stellte sich auf die Zehenspitzen und sah über die
Köpfe der Vordermänner. »Wer hat das gesagt?«
Das Mädchen stellte sich auch auf die Zehenspitzen. »Hier!«
Er sah von ihr hoch auf ihr Plakat. »Ist das da als Angebot zu
verstehen?«
»Komm du ruhig, und ich beiß ihn dir ab!«
Er fing an, sich nach hinten durchzudrängeln. »Komm her, du
kleine Fotzenleckerin, dir werd ich …«
Der Mann, der aussah, als sei er als Leibwächter angeheuert,
stellte sich ihm in den Weg. »Immer mit der Ruhe, okay?«
»Und was zum Teufel bist du für einer? Eunuch, oder was?«
»Polizeibeamter außer Dienst, was dagegen?«
Die beiden Männer standen reglos und starrten einander an.
Sie waren gleich groß und sahen aus, als beherrschten sie die
gleichen Kniffe. Ich fühlte, wie es zwischen meinen Schulterblättern kribbelte, ich hatte eine glühende Lunte im Bauch und
furchtbare Lust, mein Maul aufzureißen. Karin hielt mich noch
fester am Arm.
Der Mann mit der blauen Strickmütze sagte: »Na komm,
Bernhard. Du hast gehört, was der Typ gesagt hat. Es lohnt sich
doch nicht. Um zwölf Uhr hauen sie ab.«
Ich stand da und lauschte. Diese Stimme …
Ich reckte den Hals und versuchte, sein Gesicht besser zu
erkennen, aber es waren zu viele Köpfe im Weg. Meine Hoden
schrumpften zwischen meinen Beinen, einer der letzten Instinkte, die uns noch nicht verlassen haben und ein sicheres Zeichen
dafür, daß wir in Gefahr sind. War das denn möglich …
»Na gut! – Zuckerschwanz!« zischte er den großgewachsenen
Polizeibeamten an. »Dafür kriegst du wohl eine Gratisnummer,
was?«
Der Polizeibeamte folgte ihm auf die Straße, aber Evy Berge
ging resolut hinterher und hielt ihn zurück. »Laß dich nicht
provozieren. Er weiß jetzt, mit wem er es zu tun hat.« Sie hob
die Stimme. »Und wir kommen wieder! Verlaßt euch drauf!«
»Das ist wohl verdammt noch mal auch das einzige, wobei ihr
kommt!« rief er ihnen von der anderen Straßenseite her zu.
Der Mann mit der Holzfällerjacke drehte sich nicht einmal um,
sondern ging vorweg auf die Straßenecke an der Holbergsalmenning zu. Ich stand da und beobachtete seine Art zu gehen.
Irgendwann vor zwanzig Jahren …
»Scheiße«, sagte ich zu mir selbst.
»Mmh«, sagte Karin und rückte noch näher. »Glaubst du, wir
können jetzt gehen?«
Ich sah mich um. Die Gruppe war schon im Begriff, sich in
kleinere Einheiten aufzuteilen. »Es sieht aus, als sei die Show
für heute abend vorbei.«
Evy Berge kam zu uns herüber. »Manchmal waren wir tatsächlich gezwungen, die Polizei zu rufen. Aber heute abend ging es
Gott sei Dank gut. – Eine nette kleine Demo, was, Varg Veum?«
Ich nickte. »Ich danke dir.«
»Komm!« sagte Karin. »Ich friere …«
Später, im Bett von Fløenbakken, als sie sich aufgewärmt
hatte, hob sie den Kopf von meiner Brust, sah mir tief in die
Augen und sagte: »Ich kann nicht anders, ich muß an Siren
denken, wenn ich so was höre.«
Ich legte die Arme enger um sie und drückte sie vorsichtig an
mich.
»Ich kann dir versichern, daß es den Mädchen, die sich auf
diese Art verkaufen, auch mit sich selbst nicht besonders
gutgeht. Ich habe viele getroffen in den Jahren, die ich schon in
dieser Branche arbeite.«
»Und so jung …«
»Auch Jungs, leider. Aber sie sind trotz allem in der Minderheit, weil da draußen weniger Schwule rumlaufen als Heteros,
wenn man alle Chromosomen auszählt.«
»Aber was ist es, das sie treibt, Varg?«
»Geld, schlicht und einfach. Manche müssen ihren Bedarf an
Stoff finanzieren, aber andere wollen auch nur die richtigen
Klamotten kaufen, zum Beispiel, um mit den Freundinnen
mithalten können. Und die hartgesottenen Feministinnen da
draußen irren sich, wenn sie glauben, daß Männer da generell
eine
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