Die Schrift an der Wand
zur Fußgängerunterführung und rief den Passanten
wenig aufmunternde Kommentare nach.
Ich ging in die Wartehalle und sah mich um. Der Geruch von
Schmalz und Druckerschwärze stand wie eine Wolke der
Selbstverachtung um die Snackbar auf der einen und den Kiosk
auf der anderen Seite. Die grellen Plakate vor den Geschäften im
ersten Stock gaben Auskunft, daß der Winterschlußverkauf noch
immer andauerte, aber den Thrill hatte er längst verloren. Astrid
Nikolaisen sah ich nirgends, aber im Laufe weniger Minuten
beobachtete ich zwei offensichtliche Transaktionen auf dem
Drogenmarkt, die man nicht einmal halbherzig zu verbergen
sich bemühte.
Ich traf Sigrun Søvik wie verabredet im Café im ersten Stock.
Ihr Profil hob sich schwer von dem klaren Tageslicht ab, wie
sie da an einem der Tische mit Blick auf das Lille
Lungegårdsvann saß. Sie war genauso gekleidet wie bei unserer
letzten Begegnung: rotes Hemd, blaue Jeans und graue Strickweste. Auf dem Stuhl neben ihr hing eine graubraune, etwas
altmodische Schafslederjacke mit einem Atomkraft-NeinDanke-Anstecker.
Ich begrüßte sie schon von weitem und holte mir am Tresen
eine Tasse Kaffee, bevor ich zu ihrem Tisch schlenderte und
mich ihr gegenüber setzte.
Ich pulte zwei Stück Zucker aus dem Papier, steckte eines in
den Mund und nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee.
Sigrun Søvik beobachtete mich dabei, als demonstrierte ich ihr
gerade ein halsbrecherisches Kunststück – wenn sie nicht
einfach nur froh war, noch eine Galgenfrist zu haben.
Ich warf ihr einen schnellen Blick zu.
Sie hatte auffällig rote Wangen, als hätte sie sich beeilen
müssen, um nicht zu spät zu unserer Verabredung zu kommen.
Ihr Blick flackerte zwischen der Kaffeetasse und meinem
Gesicht hin und her, ohne irgendwo zur Ruhe zu kommen.
»Sie wollten mir etwas erzählen«, begann ich vorsichtig.
»Ja, das … Hinterher … Mir fiel plötzlich ein … So, wie ich
mich ausgedrückt habe, hätten Sie auf den Gedanken kommen
können, daß sich zwischen Frau Furubø und Holger Skagestøl
etwas abgespielt hätte. Als sie uns draußen auf Radøy besucht
haben.«
Ich nickte leicht. »Na-ja, nicht unbedingt.«
»Aber ich … ich weiß, daß es nicht so war!«
»Aha?«
Sie sah mich erschrocken an. »Ja, ich meine, das weiß ich
nicht, aber … Hatten sie denn was miteinander?«
Ich mußte gut nachdenken. »Jetzt versteh ich nicht ganz,
worauf Sie …«
»Ich meinte nur … Ich weiß jedenfalls, warum Torild und Asa
aufgehört haben, das wollte ich sagen.«
»Und das hatte nichts mit …«
»Nein! Und deshalb dachte ich … Dann brauchen Sie jetzt
jedenfalls niemanden damit zu quälen, wo diese schreckliche
Sache mit Torild passiert ist –«
»Tja …« Ich nickte ihr aufmunternd zu. »Und was war der
Grund dafür, daß sie aufhörten?«
»Ich … Na ja, ich habe sie auf frischer Tat ertappt.«
»Auf frischer Tat?«
Sie sah aus dem Fenster zum Elektrizitätswerk, ohne daß es
ihre Laune aufzuhellen schien. »Wissen Sie, Jugendliche in dem
Alter haben gerade – sie sind dabei, sich selbst zu entdecken.
Und an dem Freitagabend, nachdem schon alles ruhig sein
sollte, machte ich die Runde und inspizierte die Zelte, wie
immer. Ich hörte – Geräusche aus dem Zelt, in dem Torild und
Åsa lagen. Das Licht einer Taschenlampe. Ich rechnete natürlich
damit, daß sie lasen oder Schokolade aßen oder … so was. Aber
als ich den Reißverschluß aufzog und den Kopf hineinsteckte
…«
Ich wartete.
»Sie waren – nackt, und sie …« Ihr Blick rotierte wie ein
Suchscheinwerfer. »Ich habe ja viele Jahre lang Jugendarbeit
gemacht, ich lasse mich nicht so leicht schockieren, aber so
jung, und schon so verdorben!«
»Mit anderen Worten, sie …«
»Ja, ich sage nicht mehr! Nicht, wie!«
»Na gut, okay, aber was haben Sie gemacht?«
»Ich habe sie zurechtgewiesen, natürlich! Trennte sie und ließ
sie in verschiedenen Zelten schlafen für den Rest der Zeit, aber
natürlich habe ich niemandem etwas gesagt, niemandem,
verstehen Sie, bis jetzt! Ich will nicht, daß es herauskommt, daß
so was passieren konnte, während sie unter meiner Aufsicht
standen! Verstehen Sie!«
»Ich verstehe. Aber ich kann auch nicht einsehen, warum man
darum viel Aufhebens machen sollte. Wir waren doch alle mal
jung–«
»Ich nicht!«
»Nein?«
»Nicht so, meine ich …«
»Nein, das …«
Sie sah auf die Uhr. »Aber jetzt muß ich gehen. Ich wollte nur,
daß Sie wissen, daß sie deshalb
Weitere Kostenlose Bücher