Die Schrift an der Wand
vornherein unterkühlten Montagabend im Februar verbringen konnte.
Die kleine Handvoll Demonstranten hatte sich auf dem Sunnhordalandskes Kai aufgestellt, und sie standen dicht beisammen,
wie aus einer Art Fahnentreue, aber höchstwahrscheinlich eher,
um sich warm zu halten.
Die Blicke, mit denen sie uns begegneten, waren zunächst
skeptisch. Aber als sie sahen, daß wir Hand in Hand daherkamen und ich noch dazu wiedererkennend ein paar Gesichtern
aus der Zeit beim Jugendamt zunicken konnte, entspannten sie
sich und nahmen uns in einem Kreis auf.
Die Plakate, unter denen sie standen, trugen leicht wiedererkennbare Parolen wie: NEIN ZUR PORNOGRAPHIE! HOLT
EUCH DIE NACHT ZURÜCK! NEIN ZUM VERKAUF VON
GESCHLECHT UND KÖRPER! GENUG IST GENUG! und
PORNO = THEORIE, VERGEWALTIGUNG = PRAXIS!
Ein paar Mädels mit zu Berge stehender Punkfrisur und Ringen in der Nase und an diversen anderen Stellen, hatten sich mit
dem weit aufsehenerregenderen Spruch WIR BLASEN
GRATIS! aufgebaut, ohne daß jemand Anstoß zu nehmen
schien.
Es waren äußerst wenige Männer da. Ich zählte drei, abgesehen von mir selbst. Einer von ihnen erinnerte an einen
angeheuerten Leibwächter. Die beiden anderen sahen aus, als
seien sie ziemlich früh in den Siebzigern gezähmt worden und
hätten nur zu ganz besonderen Gelegenheiten allein Ausgang.
Was die Frauen betraf, so war das ganze Spektrum vertreten.
Einige von ihnen wären sogar dann unbehelligt geblieben, wenn
sie splitternackt zu einer Mitternachtsmesse der Hell’s Angels
irgendwo in Mittelnorwegen erschienen wären. Andere hätten
wohl kaum eine Vormittagsversammlung der Pfarrervereinigung
unangetastet überstanden. Jedes Alter, von Mittelschülerinnen
bis zu Großmüttern, war vertreten. Alle zeichneten sich allerdings durch ein glühendes Engagement für ihr Geschlecht aus,
ungeschminkt bis zur Selbstverleugnung. In dem kalten Nordwind ballten sie die Fäuste gegen die vereinzelten Autofahrer,
die an diesem Montagabend durch die C. Sundsgate rollten, und
riefen im Chor: »Nieder mit den Hurenkunden! Kein Verkauf
von Frauenkörpern! Nieder mit den Hurenkunden! Kein Verkauf
von Frauenkörpern!«
Evy Berge erwies sich als eine kräftige Frau, fünf Zentimeter
größer als ich, mit breiten, fast slawischen Gesichtszügen und
kurzen hellen Haaren. Sie war Ende Dreißig, und der Blick, mit
dem sie mich maß, war stahlblau mit einem nicht zu verachtenden violetten Kern.
»Laila Mongstad hat mir geraten, mich an dich zu wenden. Ich
habe den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen.«
»Wir sind viel zu wenige auf der Station. Da ist ständig der
Bär los.« Sie nickte Karin zu, als sei sie eine Mitverschworene.
»Eben das Los der Frauen, stimmt’s?«
Karin nickte. »Doch, ich glaube, da hast du recht.«
»Du glaubst? Ich weiß es! Sieh dich um! Wer steht hier immer
mehr unter Druck und ist mit ständig knapperen Budgets
konfrontiert? Krankenschwestern, Lehrer, Postangestellte –«
»Die Polizei«, warf ich ein.
»Ja, das wären aber auch die einzigen! Und wer, glaubst du,
vertreibt sich den Montagabend damit, im Auto herumzufahren
und Prostituierte aufzusammeln?«
»Krankenschwestern, Lehrer und Postangestellte!« sagte ich.
»Hör’ nicht auf ihn«, begann Karin.
»Direktoren …«
»Er sagt das …«
»Geschäftsführer und Abteilungsleiter …«
»… nur so.«
»Oberärzte und Politiker. Männliche …«
Ich nickte. »Ich weiß.«
»Kurz gesagt, der Machtapparat. Die, die auch sonst in der
Gesellschaft in Machtpositionen sitzen, die müssen auch, wenn
sie sich Sex kaufen, in der Machtposition sein. Sie müssen
sicher und buchstäblich gesprochen obenauf sein, um sich nicht
da angegriffen zu fühlen, wo sie am allerverletzlichsten sind,
wenn du verstehst, was ich meine.«
»Du sprichst mit vorbildlicher Klarheit. Es ist nicht mißzuverstehen. Genau deshalb muß ich mit dir reden.«
Sie sah sich um. »Hier? Jetzt?«
»Es passiert doch nicht viel, oder? Dann vergeht die Zeit
schneller.«
»Na gut.« Sie zuckte mit den Schultern, und wir gingen ein
ganz kleines Stück weg von den anderen, wie eine kleine
Ausbrechergruppe von drei Leuten, die es vielleicht doch nicht
gratis macht.
»Hinter was bist du eigentlich her?«
»Ganz kurz. Ich habe beim Jugendamt gearbeitet, bin seit bald
zwanzig Jahren Privatdetektiv und weiß über das klassische
Prostitutionsmilieu in der Stadt ziemlich genau Bescheid. Jetzt
hatte ich einen Fall, der das Ganze wieder
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