Die Schrift an der Wand
wieder jung « , trällerte ich.
»Geht es nicht so?«
»Hast du vielleicht Lust zu tanzen?« fragte sie und warf einen
Blick auf die kleine Tanzfläche.
»Wir werden jedenfalls mit niemandem kollidieren«, sagte ich
und stand auf.
Sie hakte sich eng bei mir ein, mit dem Unterleib in vorgeschobener Position und nicht gerade schüchtern in ihrer Art, sich
zu bewegen. Ich spürte die Ecken ihres Körpers jetzt deutlicher.
Die Schulterblätter waren wie die Stümpfe abgeschnittener
Flügel, und auch die mageren Oberarme waren nicht sonderlich
flugtauglich.
Die Musik kam von irgendwo unter der Decke, ein Tanzpotpourri, wo der Rhythmus wichtiger war als der Klang.
»Und in welchem Bereich bist du bei der Versicherung,
Svein?«
»Ich bin freier Mitarbeiter. Oft arbeite ich in der Abteilung für
Autoschäden. Relativ häufig auch in der für Lebensversicherungen.«
»Dann bist du also auch so eine Art Freelancer in allen Lebensfragen?«
»Wenn du so willst, ja. Bist du oft hier?«
Sie sah sich um. »Ja. Es ist meistens nett hier, ein bißchen
später am Abend. Guter Service.«
»Und wie ist die Klientel hier normalerweise so?«
»Etwas älter als in den gewöhnlichen Sauflokalen. Und nicht
ganz so mondän wie in den größeren Hotels. Es paßt eigentlich
gut zu meinem Stil. So eine Mitten-im-Leben-Stimmung,
verstehst du?«
»Keine jungen Mädchen?«
Sie zog sich ein paar Zentimeter zurück und starrte hoch in
mein Gesicht. »Bist du etwa darauf aus?«
»Nein, nein. Ich hab nur …«
»Oder bist du doch im Dienst?«
Ich murmelte etwas, das verneinend klingen sollte, und zog sie
an mich.
Eine Weile tanzten wir stumm. Es schien so, als hätte sie sich
wieder beruhigt. Ihr Haar kitzelte meine Wange, und sie atmete
sanft und dicht an meinem Hals. Ihre eine Hand lag wie zufällig
in meinem Nacken, wo sie langsam begann, mich mit ihren
langen, kühlen Fingern zu streicheln.
»Wenn du willst …«, sagte sie leise.
»Was dann?«
»… dann steht mir ein Zimmer im dritten …«
Ich warf einen Blick zur Bar. Der Barkeeper war nicht mehr
allein. Er hatte von zwei anderen Gesellschaft bekommen. Sie
standen leicht zurückgelehnt mit dem Rücken zur Theke und
sahen in unsere Richtung.
Den einen kannte ich nicht. Der andere war Kenneth Persen.
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»Vielleicht gar keine schlechte Idee«, murmelte ich ihr ins Ohr
und spürte, wie sich mein ganzer Körper anspannte.
Der dritte Mann war dunkelhaarig, gut gekleidet und hatte ein
wieselartiges Äußeres. Er gehörte zu dem Typ, den ich grundsätzlich verdächtigen würde, gern zum Messer zu greifen. Der
Eindruck wurde dadurch verstärkt, daß er die rechte Hand in der
Jackentasche hatte, als sei sie dort festgewachsen.
Als sie sahen, daß ich sie bemerkt hatte, drehte Kenneth
Persen sich um und sagte etwas zum Barkeeper, der nickte und
mich mit einem Hab’-ich’s-dir-nicht-gesagt?-Blick ansah.
»Was kostet es?« fragte ich.
Ihre Stimme wurde ganz plötzlich geschäftlich. »Das kommt
darauf an, was du haben möchtest. Von dreihundert an aufwärts.«
Ich zog sie noch ein wenig enger an mich. »Gibt es einen
anderen Weg nach oben als durch die Bar?«
»Die an der Rezeption kümmern sich nicht. Wir haben eine
Absprache.«
»Aber wenn ich nun nicht gesehen werden möchte?«
»Diskretion ist eine Selbstverständlichkeit«, sagte sie, fast
ohne daß es ironisch klang. »Es gibt natürlich eine Hintertreppe,
für den Brandfall. Aber …«
Kenneth Persen und das gutgekleidete Wiesel hatten jetzt die
Tanzfläche betreten, aber kaum, um miteinander Walzer zu
tanzen.
Schnell sagte ich: »Zimmernummer?«
»412, aber …«
»Geh du ruhig schon mal vor …«
Ich ließ sie los, just in dem Moment, als die beiden Parkettlöwen neben uns waren, und schob sie in Richtung Ausgang,
»Aber …«
»Na, auf der Piste, Veum?« sagte Kenneth Persen, der die
schwarze Lederjacke gegen eine etwas bartauglichere Wildledervariante ausgetauscht hatte.
Ich nickte ihr zu, daß sie zur Tür gehen solle, aber sie folgte
dem Rat nicht. Sie blieb stehen.
»Wo ist Astrid?« kläffte ich, um in die Offensive zu kommen.
War es nur Einbildung, oder zielte sein Blick einen winzigen
Augenblick seitlich nach oben?
»Dir ist klar, daß nach ihr gefahndet wird?«
»Mir – ist überhaupt nix anderes klar, als daß wir gebeten
worden sind, Sie nach draußen zu begleiten, Veum.«
»Was du nicht sagst. Ganz nach draußen, stimmt’s?«
Ich warf einen Blick zu Tante Gry. Sie sah plötzlich nicht
mehr so
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