Die Schrift an der Wand
dem Rahmen, den die Gesetze uns setzen.
Unsere Steuererklärungen sind makellos und unangreifbar,
unsere Beziehung zum Finanzamt allerbestens.« Als hieße er
mich im neuen Jerusalem willkommen, breitete er die Arme aus
und sagte mit salbungsvoller Predigerstimme: »Ich bin das
weißeste Schaf auf Gottes Erde, Veum. Es gibt keinen Flecken
auf meiner Weste.
Mein Unternehmen arbeitet nach den höchsten moralischen
Prinzipien.«
»Amen. Halleluja«, sagte ich.
»Spotten Sie nicht«, sagte Birger Bjelland mit einem trägen
Lächeln.
Ich erhob mich halb aus dem Sessel. »Und warum taucht Ihr
Name dann ständig in Zusammenhang mit allen möglichen und
unmöglichen Schweinereien auf? Warum sind neun von zehn
der Objekte, in die Sie investieren, in Prostitution und illegalen
Alkoholvertrieb, Glücksspiel und andere schöne Künste verwickelt? Können Sie mir das erklären?«
»Können Sie mir den Weg nach Sodom und Gomorrha zeigen,
Veum?«
Ich sah mich um. »Sind wir denn nicht da?«
»Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
»Und in welcher Sonntagsschule waren Sie? In der der Heidengemeinschaft?«
Mit einer langsamen Bewegung hob er die eine Hand. »Veum,
lassen Sie sich einen guten Rat geben, in aller Freundschaft –«
»Na, vielen Dank«, murmelte ich.
»Treiben Sie es nicht zu weit, lieber Freund. Glauben Sie
nicht, daß Sie aus irgendeinem Grund unverletzbar seien. Nichts
ist trauriger, als guten Wein versauern zu sehen, um es mal so
auszudrücken.«
»Das hat die Braut in Kanaan auch gesagt.«
Er seufzte hörbar, sah hinüber zu Fred und sagte: »Frau Helgesen ist sicher schon nach Hause gegangen. Kannst du Veum
hinausbegleiten? Ganz hinaus?«
Ich stand auf und ging zur Tür.
»Und vergessen Sie nicht, was ich gesagt habe«, sagte er an
meinen Rücken gewandt.
Fred hatte schon die Hand auf der Türklinke, als ich mich noch
einmal zu Birger Bjelland umdrehte und zu ihm sagte: »Und Sie,
fühlen Sie sich lieber auch nicht zu sicher. ›Sei wachsam, Little
Foot, wohin du trittst.‹ Haben Sie das nicht auch in der Sonntagsschule gelernt?«
Er ließ sich nicht dazu herab, mir zu antworten, lächelte nur
sein altes, träges Lächeln, das mich an einen wachsamen Hai
erinnerte.
Fred brachte mich hinaus. Er sagte mir nicht einmal auf Wiedersehen.
33
Ich rief Karin rechtzeitig vor fünf Uhr an, um sie zu beruhigen
und ihr zu sagen, daß alles in Ordnung sei. Niemand stand hinter
der Telefonzelle und hatte eine abgesägte Schrotflinte auf
meinen Kopf gerichtet, und niemand hatte mich zu einer Fahrt
eingeladen, zu der ich nicht nein sagen konnte.
»Kommst du?«
»Ich habe noch eine Sache zu erledigen. Aber wenn ich auf
das Angebot bis so gegen Mitternacht zurückkommen könnte,
dann …«
»Aber nicht später«, sagte sie in resigniertem Ton.
»Auf keinen Fall später«, sagte ich.
Das Hotel Pastell hob sich von den anderen Gebäuden in der
Häuserreihe ab wie ein bunt bemalter Schneidezahn.
Das Week End war eines dieser anonymen Frühstückshotels
mit Bar und abendlichem Tanz und einem Hinterhof, an den ich
selbst die unangenehmsten Erinnerungen hatte. Die neuen
Besitzer hatten den gesamten früheren Fassadenschmuck
entfernt, ohne daß dabei etwas verlorengegangen wäre. Als
Ersatz hatten sie es in einem unbestimmbaren blaßrosa Farbton
angemalt, der wie die Faust aufs Auge zu dem neuen Namen
paßte.
Es war schon fast halb acht, als ich frisch geduscht und mit
einem lässig geknoteten Dienstagsschlips durch die Rezeption in
die Bar spazierte, wo sich außer ein paar Männern mittleren
Alters und einer nicht ganz so mittelalten Frau niemand aufhielt.
Ich schlenderte zum Tresen, kletterte auf einen Hocker und
bestellte ein Clausthaler und einen Aquavit. »Du reitest heute
das lahmende Pferd, was?« sagte der Barkeeper mit einem
schiefen Lächeln.
Ich maß ihn mit einem schnellen Blick. Der Schnauzbart war
offensichtlich die Clubnadel, obwohl dieser aussah, als sei er
etwas stacheliger als der Birger Bjellands. Sein Haar war dunkel
und bestand aus dichten, aufstrebenden Locken, allerdings
schien schon ein beginnender Mond durch. Das schiefe Lächeln
hätte außerdem einer Teufelsmaske ausgezeichnet gestanden.
»Bist du der, den sie Robert nennen?« fragte ich, als er wiederkam.
Er setzte das Schnapsglas ab, schenkte das alkoholfreie Bier
direkt in ein Glas und stellte es daneben, griff nach einem Tuch
und wischte zwischen uns einen unsichtbaren Fleck vom Tresen.
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