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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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wie man sich
denken kann.«
Ich notierte alles in meinem Buch, dann faltete ich die Papiere
zusammen und steckte sie in die Innentasche meiner Jacke. Ich
legte den Arm um Karin und küßte sie leicht auf den Mund.
»Dann muß ich morgen nach Stavanger. Das Flugzeug könnte
natürlich abstürzen, aber das Risiko geht man ja jedes Mal ein,
also … Ich glaube, ich bin in vielerlei Hinsicht außerhalb von
Bergen sicherer als in der Stadt, falls wir das hier überhaupt
ernst nehmen, Karin.«
»Ich hab es jedenfalls ernst genommen, als er anrief.«
»Ich bin nicht zum ersten Mal allein in einer Winternacht
unterwegs«, tröstete ich sie. Aber während ich es sagte, merkte
ich, daß der Trost nicht einmal mich selbst überzeugte. Jemand
hatte Kälte in mein Herz gesät, ich hatte eine Eisrose in der
Brust.
    Ich schlief nicht viel in dieser Nacht.
Würde ich es ernst nehmen, was könnte ich dann eventuell
unternehmen?
War es einer oder waren es mehrere, die dahintersteckten?
    Wäre nicht der erste Anruf gekommen, noch bevor ich ernsthaft
begonnen hatte, in der Torild-Skagestøl-Geschichte herumzuwühlen, läge es nahe, Birger Bjelland und seine Leute zu
verdächtigen. Aber höchstwahrscheinlich war es ein Idiot, der so
was trieb, um Angst und Schrecken zu verbreiten, ohne jemals
einen Versuch zu unternehmen, die Drohung in die Tat umzusetzen.
    Aber daß er bei Karin angerufen hatte, irritierte mich. Das
bedeutete, daß er einen ziemlich guten Einblick in mein Privatleben haben mußte, daß er mich vielleicht sogar beschattet hatte
– oder uns – und herausgefunden hatte, wer sie war. Aber das
konnte auch bedeuten, daß er einen Apparat zur Verfügung
hatte, wenn nicht gar eine ›Organisation‹.
    Karin schlief unruhig neben mir, murmelte irgend etwas und
warf den einen Arm zur Seite.
Ich streckte die Hand zum Boden vor dem Bett aus, fand
meine Uhr, hob sie auf und drückte auf den Knopf, der die
Zifferblattbeleuchtung auslöste: 01.35.
Also gut. Mal angenommen, ich wäre tatsächlich in Gefahr.
Wovor sollte ich mich dann besonders in acht nehmen?
Wir befanden uns nicht auf Sizilien, mein Büro lag nicht auf
der North Side von Chicago, und selbst der Name Soho klang
exotisch für einen Privatdetektiv aus einem langgestreckten
Land irgendwo ganz oben beim Nordpol. Mit anderen Worten,
es war sehr unwahrscheinlich, daß jemand eine Autobombe in
meinem Toyota deponiert haben würde, bevor ich im Morgengrauen nach Flesland fuhr. Es gab auch kaum einen Grund, zu
befürchten, daß oben hinter den Büschen in dem alten Schulgarten ein Scharfschütze läge, um mich mit seinem Zielfernrohr
einzufangen, während ich mein Auto aufschloß.
Am wahrscheinlichsten war es, daß jemand einen direkten
Angriff auf mich mit Schußwaffe oder Messer versuchen würde.
Allein der Gedanke daran ließ mich so abrupt im Bett hochfahren, daß Karin die Hand nach mir ausstreckte und im Halbschlaf
fragte: »Ist es schon Morgen?«
»Nein, nein«, sagte ich leise. »Schlaf du ruhig weiter. Ich muß
nur kurz aufstehen.«
Ich stieg aus dem Bett, verließ das Schlafzimmer und ging
durch den Flur ins Wohnzimmer.
Am Fenster blieb ich stehen und sah hinaus.
Es war ein merkwürdig friedlicher Anblick. Bergen nachts um
viertel vor zwei, mit verstreuten Schneeflocken in der Luft, von
schwarzen Bergen beschützt, die nur zum Teil bebaut waren.
Die Straßenbeleuchtung schien wie das Muster einer vergoldeten Pfauenfeder in der Dunkelheit. Store Lungegårdsvann lag
wie eine schwarze Lagune da, die Oberfläche eine hufeisenförmige dünne Eisschicht, und in den großen, häßlichen
Hochhäusern von Vetle-Manhattan waren alle Bürolichter
erloschen. Nur von einem Hausdach leuchtete die Botschaft, wie
spät und wieviel Grad es da oben eben waren, herüber.
Nur wenige Autos waren unterwegs, und ich konnte mir nicht
vorstellen, daß eines davon auf dem Weg zu mir war.
Ich atmete tief und ruhig. Ein und aus. Ein und aus.
Langsam fühlte ich, wie die Anspannung in der Schultergegend abnahm. Der schmerzhafte Kloß im Bauch begann zu
schrumpfen und hinter den Augenlidern vibrierte mit seinen
Elfenflügeln langsam der Schlaf.
Ich ging wieder ins Bett und schmiegte mich eng an Karin, die
Arme um sie geschlungen, in einer Art Embryostellung für zwei.
Ich erwachte erst, als der Radiowecker mit der schmetternden
Fanfare einer Nachrichtenredaktion zuschlug, die uns die letzten
Weltkatastrophen anvertrauen wollte, bevor wir einen neuen

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