Die Schrift an der Wand
Arbeitstag begannen.
37
Sogar die Wettergötter waren unruhig an meinem Todestag. Ein
böiger Wind aus Nordwest schüttete unregelmäßige Hagelschauer über die Stadt und ließ die Körner gegen die
Autoscheiben trommeln, so als hörte man den Klang des ersten
Musikkorps dieses Frühlings.
Karin gab mir einen langen, heißen Kuß, bevor ich ging. »Soll
ich mit runterkommen?«
»Nein. Aber du kannst mich ja vom Fenster aus verfolgen, bis
ich gefahren bin.« Einer plötzlichen Eingebung folgend, fügte
ich hinzu: »Und paß auch gut auf dich auf. Ich rufe sofort an,
wenn ich angekommen bin.«
Dann starben wir noch ein bißchen, bis ich sagte, daß ich nun
gehen müsse, und sie mich zögernd losließ, als sei sie nicht ganz
sicher, ob sie mich je wiedersehen würde.
Noch einmal hatte sie Tränen in den Augen. Ich wußte nicht,
ob ich mich darüber freuen sollte. Es gefiel mir nicht, Menschen
einen Grund zum Weinen zu geben.
Unten öffnete ich vorsichtig die Haustür. Es waren noch nicht
viele auf den Beinen. Ein Nachbar aus einem der anderen
Blocks ging gerade in Richtung Årstadsvei hinauf, und eine
Frau mittleren Alters führte ihren Hund spazieren.
Schnell trat ich hinaus und ging zum Parkplatz hinüber. Ein
paarmal beugte ich mich hinunter, wie um meine Schnürsenkel
neu zuzubinden. Als ich beim Auto ankam, achtete ich darauf,
nirgends zu lange stillzustehen. Ich ging schnell um den Wagen
herum, während ich die Scheiben freikratzte. Der leichte
Schneefall der Nacht hatte mir jedenfalls einen Dienst erwiesen:
Ich konnte ziemlich sicher sein, daß niemand am Auto herumgebastelt hatte, weder an den Schlössern noch anderswo, seit ich
es abgestellt hatte. Außer meinen eigenen gab es keine anderen
Fußspuren. Nichts als das Muster des Hagels vom letzten
Schauer, wie eine folkloristische Stickerei.
Ich steckte den Autoschlüssel ins Schloß, drehte ihn um,
öffnete die Tür, nickte zu Karin hinauf und stieg ein.
Weil ich viel zu viele amerikanische Filme gesehen hatte, warf
ich einen Blick auf den Rücksitz, um zu kontrollieren, ob er leer
war. Das war er.
Ich wußte, daß jetzt der kritische Punkt kam. Die meisten
Autobomben waren an die Zündung gekoppelt.
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich ließ die
Tür angelehnt (als ob das etwas geholfen hätte), steckte den
Schlüssel ins Zündschloß und startete den Motor. Er sprang bei
der allerersten Berührung an, wie eine Seemannswitwe.
Als ich vom Parkplatz fuhr, winkte ich wieder zu Karin hinauf.
Sie winkte zurück, aber es kam nicht von Herzen. Mir war, als
könnte ich ihr besorgtes Gesicht trotz der Entfernung vor mir
sehen.
Oben im Årstadveien bog ich nach Süden in Richtung Haukeland-Krankenhaus ab. Ich sah in den Spiegel. Ein paar Autos
kamen in einer Schlange über Årstadvollen. Vom Fløyenbakken
herauf kam ein Motorrad und fuhr vorsichtig an den Bürgersteig, zwei, drei Wagen hinter mir. Ich spürte, wie sich meine
Nackenhaare sträubten.
Im Fridal bog ich ab und fuhr durch den Christiepark, während
ich in den Rückspiegel sah. Zwei der Wagen – und das Motorrad – folgten mir.
An der Ampel am Inndalsvei blieb ich bei Rot stehen und
wartete. Der Motorradfahrer hielt sich zurück und blieb stehen,
noch immer zwei Wagen hinter mir, obwohl reichlich Platz
gewesen wäre, um an der Seite vorzufahren.
Ich versuchte, mir einen Eindruck des Fahrers zu verschaffen,
aber es war noch zu dunkel, und er war dick bekleidet, in voller
Ledermontur und Helm mit dunkelgetöntem Visier.
Der Fahrer des Wagens hinter mir hupte irritiert, und ich fuhr
so abrupt an, daß das Auto auf der glatten Fahrbahn ins Rutschen kam, aber ich bekam es schnell wieder in den Griff. Der
Motorradfahrer hatte keine Probleme.
Wir begleiteten einander wie siamesische Zwillinge den
ganzen Weg bis nach Flesland. Die Autos zwischen uns wechselten zwar, aber der Abstand blieb immer derselbe, zwei bis
drei Wagen. Als ich aber zum Langzeitparkplatz einbog, um das
Auto abzustellen, war er plötzlich weg.
Ich parkte und ging schnell auf den Terminal zu, während ich
mich umsah. Mir schien, als hörte ich immer noch das schwache
Brummen des Motorrads, aber das konnte Einbildung sein. Ich
sah nichts.
In der Halle liefen Menschen in eilige Dialoge vertieft in
verschiedene Richtungen, je nachdem, was das Ziel ihres
Besuches war. Ich stieg die Treppe hinauf in die Abflughalle im
ersten Stock. Auf halber Höhe hatte ich eine perfekte
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