Die Schrift in Flammen
reichendem Astwerk reihten sich am Hang übereinander; mit den Polypenfingern ihrer moosbewachsenen Wurzeln hielten sie sich an jedem Felsbrocken fest.
Endlich kamen sie unten an. Hier herrschte beinahe Dunkelheit. Der Kessel war eng wie ein zwar breiter, doch sehr, sehr tiefer Brunnen. Senkrecht fallende, von Flecken haftenden Schnees unterbrochene Felsen umgaben ihn, die fast schwarz erschienen. Die lang herabhängenden Moosbärte, die nackten Wurzelstränge der sich festklammernden Pflanzen, der Farne und der Wacholdersträucher, alles war reifbeschlagen; die von den hinabfallenden Wassermassen stäubend fortgeschleuderten Tropfen gefroren an den Gewächsen, immer weitere Schichten setzten sich fest, Tausende von Eisdornen reckten sich empor wie Fahnen, kein Wind trug sie hier fort, wo selbst der Bach sein Bett noch hinter einem hohen Felsturm suchen musste. Das Tosen war bereits dort zu hören, wo sie unten beim Wasser anlangten. Nun mussten sie noch eine hervorspringende Felswand umgehen, Schwemmholz und Eisblöcke überwinden, um dem Wassersturz gegenüberzustehen.
Sie kamen schwankend vorwärts, glitten aus, stützten sich auf Steine oder ihre langen Stöcke, nur so war es zu schaffen. Aber es war die Mühe wert. Das Wasser ergoss sich aus einer Höhe von nahezu dreißig Metern. Oben hatte es im Fels eine tiefe Rinne eingeschnitten, von dort holte es frei, mit mächtigem Schwung zum Sprung aus. Nichts unterbrach es, nichts verstellte ihm den Weg, wo es hinunterstürzte. Vor dem schwarzen Grund schien es eine fließende, blaugrüne Erzsäule zu sein, vor deren dunkler Masse sich weiße Gischt türmte und hinwegschwang; im Fallen wandelte sich das Wasser in Hände, in lang ausgestreckte Finger und zuletzt in schäumende Knäuel, als es zuunterst in der rebellisch zurücktobenden Flut des Beckens aufschlug. Hier unten wirbelte und schäumte es, als läge Rauch über der Wasserfläche, Strudel, dick wie Schlagrahm, tanzten über den unregelmäßigen Wellenschlag, Perlenreihen von Tropfen schossen wild und wahnwitzig in hohem, halbkreisförmigem Bogen empor. Alles blieb sich gleich und veränderte sich doch ständig. Ein Schaumfetzen, den das Auge erfassen mochte, wurde mitten im Fall zum meterlangen Lappen, während unterdessen oben tausend verschiedenförmige Brüder, weiß wie Batist, geboren wurden, frei hinausstürzten, um ebenso hinabzusegeln, sanft, wie die Vögel fliegen; und dies wiederholte sich stets von neuem, pausenlos, unaufhörlich.
Unterirdische Quellen speisten den Bach, der auch im Winter verhältnismäßig warmes Wasser führte; deshalb der Dampf bei der Kälte von zehn Grad. Daher die Rauhreifglasur, die jede scharfe Kante, jedes Moos, jede Wurzel und alle Ästchen mit Diamanten bestreute; daher die Eissäulen, die den Wasserfall auf beiden Seiten begleiteten, arm-, bein- und hüftdicke Eisstangen, die unten nichts festhielt, an denen die herumschwirrenden Wassertropfen hinabglitten, sie an Umfang und Gewicht ständig zunehmen ließen, bis dann die eine oder andere doch riss und schwer in die schäumenden Wirbel stürzte.
Bálint blieb vor dem prachtvollen Anblick des Wasserfalls lange stehen; er konnte sich davon fast nicht lösen. Das Tosen des Wassers machte ihn, wie er dastand, einsam. Was für Leben, welch ein Lebenswille inmitten von Winter und Frost! Wie die Flammen am Abend zuvor, so auch hier die ständige Eile, das pausenlose Rasen, die unablässig fordernde Kraft der Natur; sie jagt alles mit ihrem mächtigen Willen, treibt es auf dem geheimnisvollen Weg der Erfüllung zu unvermeidbaren Zielen. Und wie zuvor am Feuer, so auch hier vor der unruhigen Gewalt des Wassersturzes – die Erscheinung rief ihm Adrienne ins Gedächtnis zurück. Als brächte alles überall, wo Schönheit und geheimnisvolle Kräfte Gestalt annahmen, das Bild jener schlanken, großgewachsenen Frau hervor, die Erinnerung an den fein gezeichneten Bogen ihrer Lippen und an ihr ungewollt verführerisches Lächeln …
Warum, warum nur verfolgte ihn dieses Bild? Zornig brach er auf und schritt am Ufer dem Bach nach, auf dem Eisblöcke schwammen. Bist du behext?, fragte er sich ärgerlich. Nein doch! Ich brauche kein Abenteuer dieser Art! Es wäre, sagte er sich, eine gefährliche Angelegenheit, die ihn bände und ihm vielleicht lange zu schaffen machte, seine innere Ruhe stören würde. Auch die Arbeit, die er sich vorgenommen hatte. Ich brauche sie nicht! Dergleichen bedeutet nur eine Belastung. Und wozu? Warum
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