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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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nicht Vorsitzender der Kammer wurde, den erhöhten Sitz über den Köpfen der anderen nicht einnahm, obwohl er ihn hätte einnehmen können. Sie fanden ein unbändiges Vergnügen an der Gelegenheit, den verdienten, beinahe siebzig Jahre alten Mann zu schmähen und zu verdächtigen. Aus hundert Kehlen brüllte es gegen ihn. Er aber saß rechts in der ersten Bank und streckte seine Brust heraus, die nach wie vor jedem Ringkämpfer Ehre gemacht hätte. Wie ein riesiger Eber, den eine Meute von Jagdhunden umstellt und anbellt, so nahm er sich aus. Er schob das ohnehin vorspringende Kinn herausfordernd vor, und mit stechenden Augen spähte er, lauerte auf die erste persönliche Beleidigung, für die er Satisfaktion würde fordern können.
    Schließlich kam sie. Ein frischgebackener Abgeordneter rief ihm zu: »Rindvieh mit Gnadengehalt!« Diesen forderte er sofort zum Duell unter schweren Bedingungen heraus. Sein tyrannisches Wesen setzte sich auch diesmal durch – jetzt gegenüber seinen Sekundanten. Er bestand darauf, sich nur zu schlagen, wenn seine eigenen Waffen zum Zug kämen, zwei starre, breite Säbel, deren Klingen so spitz ausliefen wie Spieße. Ferner sollte man beim Duell ohne Bandagen antreten und das Stechen erlaubt sein – dies obwohl er ein alter ungarischer Degenfechter war (diese kennen nur Hiebe), während sein Gegner die italienische Fechtschule durchlaufen hatte, in der man den Absolventen auch den Stoß mit dem Säbel, den »punto d’arresto«, beibringt. Am nächsten Tag holte man den alten Keglevich tot aus der Fechthalle. Beim Ruf »Los!« hatte er mit jugendlichem Schwung angegriffen. Sein Gegner wich zurück und durchbohrte ihn dann jäh mit solcher Kraft, dass die Klinge an seinem Rücken unter dem Schulterblatt hervortrat; dieser Unbekannte, der dem Alter nach Keglevichs Sohn hätte sein können, hatte ihn niedergestochen.

    Bálint verweilte in Pest zehn Tage. Nachdem das Haus sich vertagt hatte, kehrte er heim, wie der Mutter versprochen. Zufällig kam er am Faschingsdienstag zur Morgenstunde an. Da er nun einmal da war, musste er auch zum Ball, den man an diesem Abend veranstaltete. Große Lust, sagte er sich, hatte er nicht, aber es war unmöglich, nicht hinzugehen. Sein Fernbleiben wäre aufgefallen, da man doch wusste, dass er sich in der Stadt befand. Und schließlich warum nicht? Er musste ja nicht bis zum Morgen bleiben, er würde früh nach Hause gehen. Nach dem Nachtmahl stand er auf und ging, um sich umzuziehen.
    »Schau bei mir nochmals herein«, sagte die Mutter, »wenn du fertig bist. Es ist so lange her, dass ich dich im Frack gesehen habe. Ich möchte an dir meine Freude haben. Wir gehen ohnehin nicht früh zu Bett.«
    »Allerdings nicht!«, sagte Frau Tóthy.
    »Wir warten allerdings auf Sie«, sagte Frau Baczó.
    Bálint versprach es und zog sich in sein Zimmer zurück.
    Die Kleider lagen vorbereitet, in schöner Ordnung auf dem Bett, das Frackhemd quer zwischen der weißen Weste und dem schwarzen Anzug. Vielleicht war es dieser Gesellschaftsanzug, der Erinnerungen an Pest hervorrief. Sie meldeten sich freilich wirr und ohne System. Als er sich das Gesicht zum Rasieren einseifte, fiel ihm László Gyerőffy ein. Er hatte ihn kaum gesehen. Es war jeweils abends im Casino; László trug immer Frack. Sie wechselten immer nur kurz einige Worte, denn unten im Saal gab es jede Nacht einen Ball. Er sei jetzt Vortänzer, sagte László. Und er redete Bálint zu, mit ihm hinunterzugehen. Er hatte aber keine Lust, ins Hotel zurückzukehren und sich wieder umzuziehen, und László beharrte nicht darauf.
    Er dachte jetzt, während er sich dicken Schaum über das Kinn strich, an seinen Cousin. Erst nachträglich meldete sich nun der Eindruck, als habe es in Lászlós Benehmen eine Veränderung gegeben. Als ob er selbstbewusster wäre und den Kopf höher trüge.

    Er tauchte die Gilletteklinge in heißes Wasser und begann das eigene Gesicht entlangzufahren. Sonst würde der Bart bis zum Morgen sprießen, dachte er, und das wäre ekelhaft. Der Spruch eines Engländers kam ihm in den Sinn, wonach ein Mann sich stets nur mit dem Rasiermesser waschen sollte.
    Der arme Keglevich! Welch interessanter Mann er war, ihm gegenüber immer freundlich. Mehrmals hatte er mit ihm Schach gespielt, einmal auch bei ihm in seiner Wohnung. Bei jener Gelegenheit zeigte er ihm die beiden verhängnisvollen Säbel. Sie hingen über dem Kanapee unter anderen Waffen – schreckliches Zeug. Der alte Herr sagte:

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