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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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etwas anderes als die Leute im einstigen Komitat in den nördlichen Bezirken. So stand auch jetzt fest, dass jene anders würden vorgehen wollen. Was sie vorhatten? – Auch dies galt als Geheimnis, das aber ebenso jedermann kannte. Auch sie strebten vor der Behandlung der Tagesordnung einen Beschluss an. Das Ziel war die Verabschiedung einer Erklärung, dass man nicht bereit sei, den Amtseid des Obergespans zu akzeptieren, denn es treffe zwar zu, dass ihn der König ernannt habe, gegengezeichnet habe aber die Ernennung »eine fremde Machtinstanz«. Folglich würde sich die Versammlung mit einer Adresse an das Parlament wenden. Es gab zwischen den beiden Standpunkten offenkundig kaum einen Unterschied, die beiden Seiten wappneten sich aber für einen Kampf bis aufs Messer. Sie hatten auch schon ihre Namen. Die eine hieß »Suspendierungs-Partei«, die andere »Beschluss-Partei«. In der Sache wusste jedermann Bescheid, aber niemand sprach darüber. Boros, der Anwalt, fuhr mit seiner schönen, melodiösen Stimme fort, allgemeine staatsrechtliche Lehrsätze zu blasen. Alle hörten ihm zu. Dann aber wurde der Vortrag durch etwas gestört. Ein Vierergespann fuhr soeben vor dem Gasthaus vor. Ein Gespann ungewöhnlicher Art: kleine, gut genährte, harte Gebirgspferdchen mit stählernen, kurzen Beinen, dichter Mähne und langem Schweif. Auf dem Bock der Kutscher und ein Diener, beide in Flauschrock und mit dem zylinderartigen Hut der Leute von der oberen Maros-Gegend. Ein großgewachsener Mann stieg überaus schwerfällig vom hinteren Sitz des niedrigen Bauernwagens aus: Miklós Absolon, der Anführer der Oberlandregion. Die Gäste im Kaffeehaus bemerkten ihn erst, als er vor ihnen stand. Alle sprangen auf, alle machten ihm Platz, obwohl sie begriffen, dass Absolon einzig gekommen war, um Verwirrung zu stiften oder sie zu verhöhnen.
    Absolon setzte sich in Bewegung, er ging geradeaus zum Führertisch. Er hinkte entsetzlich. Es war ein ungewöhnliches Hinken. Sein linkes Bein hatte sich zum Zapfenzieher verkrümmt, auch der Fuß war verstümmelt. Seinen kurzen, oben mit einem Krückengriff versehenen Stock presste er mit senkrecht gehaltenem Arm an den Oberschenkel und schritt zwischen den Stühlen so rasch und unwiderstehlich und auch mit solchem Gedröhn voran wie eine Lokomotive. Als er bei Barras Tisch anlangte, sprang man auch dort auf und bot ihm Platz an. »Servus! Guten Abend!«, sagte er, während er zum Gruß winkte, er reichte aber die Hand niemandem, sondern setzte sich. »Noch einen Stuhl für mein Bein!«, befahl er seinem Nachbarn, dem Hauptstuhlrichter Gálffy, der ihm hierauf den eigenen Sitz sogleich überließ. Nachdem Absolon auf solche Weise Platz genommen und seine starke, kurze Krücke vor sich auf die Marmorplatte gelegt hatte, wandte er sich an Barra. »Na, Samu, bist du also zu dieser großen Auseinandersetzung hergekommen?«, fragte er mit seiner durchdringenden Stimme. Und der große Barra antwortete nicht mit fein ziselierten Sätzen, als deren Meister er sonst galt, sondern vorsichtig und zurückhaltend nur so viel: »Ja, ich bin da.«
    Bálint konnte das Gesicht des alten Absolon gut sehen, zumal es auch beleuchtet wurde, da man im Kaffeehaus inzwischen das elektrische Licht eingeschaltet hatte. Er glich auffallend Pali Uzdy, seinem Neffen: der gleiche, beinahe stilisiert tatarische Kopf, schräg sitzende schwarze Augen, breite Backenknochen. Der Haaransatz zuoberst auf der Stirn bildete auch bei ihm einen spitzen Winkel, was sich umso leichter erkennen ließ, als er sich eine kleine Ledermütze, die er trug, auf dem Kopf weit zurückgeschoben hatte. Es war eine ungewöhnliche Mütze, deren Pelzverbrämung auf beiden Seiten spitz aufragte; sie stammte aus Kirgisien; im Altaigebirge und in der Gobiwüste trug man Kopfbedeckungen dieser Art. Er war groß von Wuchs, wenn auch nicht so schlaksig wie Uzdy, jedoch mit viel breiteren Schultern. Er hatte auch Gewicht zugesetzt, was vielleicht mit seinem Hinken zusammenhing.
    Abády beobachtete ihn mit Interesse. Er wusste, dass Absolon in den achtziger Jahren das wildeste Zentralasien bereist hatte. Er musste viel gesehen und viele Abenteuer erlebt haben, über die er zwar niemals auch nur eine Zeile schrieb, aber mit großer Lust und viel Witz erzählte. Die Leute meinten darum insgeheim, er verbreite bloß Lügen, und wenn sich mehrere um ihn einfanden, ermunterten sie ihn vorsichtig frotzelnd, ihnen etwas »vorzulügen«, was dann hinter seinem

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