Die Schrift in Flammen
unterwegs waren, dann zeigte sich niemand mehr. Endlich erblickte er Adrienne in der Ferne. Sie war bei den Bäumen drüben aufgetaucht, und in gerader Haltung näherte sie sich rasch mit weiten Schritten. Ganz wie Diana, die Jägerin, dachte Bálint. Das ist sie, und wie sehr! Er ging ihr entgegen. Sie umarmten sich. Die Lippen der Frau, die er an seinem Mund spürte, öffneten sich mit dem Gehorsam der guten Schülerin, er durfte wieder den nachgebenden Körper an sich drücken, und beim Kuss stellte sein zweites, beobachtendes Ich – wie schon so oft – fest: Sie küsst immer noch wie ein in Liebesdingen unerfahrenes Mädchen, nach wie vor empfindet sie nichts; sie fiebert nicht, und auch in ihren Augen liegt nicht mehr als Freude und Gutmütigkeit.
»Hier auf dem Weg kommen Leute vorbei«, sagte der Mann, »besser, wir gehen etwas tiefer in den Wald.«
Im Wald am Hang erreichten sie eine Lichtung. Sie legten sich auf Abádys ausgebreiteten Mantel.
»Du verreist also?«, sagte Addy. »Du verreist für lange Zeit …« Die Trauer in ihrem Blick hatte jedoch die Wiedersehensfreude nicht besiegt. Ihre Augen glänzten weiterhin wie in der ersten Minute. Bálint lehnte sich auf der leicht ansteigenden Wiese zurück und nahm sie in die Arme. Lieb und vertrauensvoll lag der Kopf der Frau an seiner Schulter, ihre Locken kitzelten ihn im Gesicht, am Ohr und am Schnurrbart – neckisches Haar, das sein eigenes, unabhängiges Leben lebte wie die sternförmigen Tiere im Meer. Wortlos lauschte sie dem Bericht des Freundes.
Er sprach zu Beginn sachlich über den Zustand seiner Mutter, die Verordnung der Ärzte und die Einzelheiten der Reise, doch eine seiner Hände regte sich, sie fuhr von der Hüfte der Frau streichelnd hinunter zum Knie und wieder zurück. Später ging die Hand über den Rand ihres Rocks hinaus, sie glitt hinüber auf ihr hochgezogenes Bein, auf den Seidenstrumpf, und irgendwie schien, als brächte diese gleichförmige Bewegung einen Rhythmus in seine Worte, seine Sätze wurden immer farbiger, breiter und reicher. Er sprach von Liebe und von Knechtschaft, davon, dass stets und überall, wo ihm etwas Schönes begegnete, ihm Adrienne entgegentrat, dass er ihre gelben Augen und ihr pechschwarzes Haar vor sich sah und ihre Lippen, die sich schürzenden, beinahe schmollend trotzigen Lippen. Er küsste sie auch beiläufig bei dem einen oder anderen Satz, hörte aber selbst da nicht auf zu sprechen, er reihte die vielen schönen Worte aneinander, die wie Funken aus dem Schmelzofen seines Verlangens sprühend herangeflogen kamen und sich zu Sternen und glänzenden Sätzen der Huldigung formten. Eine entrückende Inspiration erfasste ihn wie so oft an den gemeinsamen Nachmittagen in Klausenburg und wie damals auf der Terrasse in Vársiklód. Er sprach über Lebensauffassung und Liebesphilosophie, vereinte entfernte Dinge in einem Bild, legte Beispiele in unerwarteten, mit manchem Scherz bespickten Wendungen dar, denen immer wieder ein Kuss folgte, und er sprach und sprach, als richte er sich an ein großes Publikum, doch seine Hände, von einem anderen Willen gelenkt, verhielten sich nun schon vorsichtig mutig und schlau. Das Kleid Adriennes war am Hang ein wenig über das Knie hinaufgerutscht. Die gleichförmig hinschwebenden Hände streichelten sie fein, doch sie glitten auf der dünnen Seide des Strumpfs immer weiter hinauf …
Adrienne lag bewegungslos an Bálints Schulter. Sie hörte den flatternden Worten selbstvergessen zu, und das Streicheln ihren Körper entlang, bis zu den Knöcheln und wieder zurück, löste in ihr eine einlullende, rauschhafte Empfindung aus – ein für sie neues und beruhigendes Gefühl, war sie doch weder als kleines Mädchen noch als Frau je von jemandem liebkost worden. Dass die Hand des Mannes nun langsam nicht nur über ihr Kleid hinwegglitt, sondern aufwärts auch über die spinnwebartigen Strümpfe, wo sie bereits die nackte Haut erreichte, dies bemerkte sie, von der über ihr klingenden Rede und dem sich zart wiederholenden Streicheln bezaubert, lange überhaupt nicht.
Bálints sprechendes Ich hatte mit dem Mann, der hinter seiner Beute her war, nichts zu tun. Während der Erste kunstvoll ausgewählte Worte aneinander flocht, berechnete der Zweite schon in kluger Vorsicht die Minute, in der er jäh vorpreschen und das erste Ich in den Hintergrund drängen werde. Doch da – vielleicht verhielten sich seine Finger nicht mehr so diszipliniert, oder vielleicht hatte die Frau
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