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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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waren der Meinung, in einem königlichen Manifest werde jetzt das allgemeine Stimmrecht verkündet, das Kristóffy einige Monate zuvor empfohlen, Franz Joseph aber – auch dies war allgemein bekannt – bisher nicht akzeptiert hatte.
    Die meistverbreitete Meinung lautete aber, dass auf unabsehbare Zeiten eine Diktatur folgen werde. Was also war zu tun? Sorgenvolle Gesichter. Eine Vielzahl von Kombinationen. Es traf sich schlecht, dass Gyula Justh, der Vorsitzende des Hauses, erkrankt war. Er galt als harter, höchst revolutionär gestimmter Mann. Oder vielleicht traf es sich im Gegenteil gar nicht schlecht, denn er hätte sich womöglich zu irgendeiner Wahnsinnstat hinreißen lassen. »Nein, es ist gut so. Die Anführer beraten jetzt irgendwo. Sie werden schon etwas aushecken, etwas Geschicktes, eine feine, staatsrechtlich richtige Lösung.« In Erwartung dieses Beschlusses wurde eifrig debattiert. Am meisten Gefallen fand man an der geistreichen Lösung, die ein vornehmer Budapester Anwalt lanciert hatte und die von den Zeitungen mit gesperrtem Druck gebracht worden war. »Das wäre gut, das wäre schön!« Der Vorschlag lautete so: Alle Abgeordneten sollten ihr Mandat zurückgeben. In diesem Fall gibt es weder einen Kammervorsitzenden noch einen Protokollführer und noch nicht einmal einen Leiter der Administration, niemanden, und die königliche Botschaft lässt sich keinem übergeben. »Das wäre ein herrlicher Streich«, lärmte Wuelffenstein. »Nyiri darf mit dem Fetzen Papier beliebig herumlaufen, es gibt keinen, um ihn zu übernehmen, und er kann nicht einmal eine Sitzung einberufen, denn dazu braucht man laut den Hausregeln vierzig Abgeordnete!« – »Schade, dass es nun schon zu spät ist, dass wir nicht früher daran gedacht haben.«
    Die Menschen warteten, äußerten sich zum Gegenstand auf vielerlei Arten, bis die Anordnung der Führer eintraf: Früh am Morgen, schon nach halb zehn, soll sich jedermann im Parlament einfinden. Sonst verlautete nichts, aber das reichte. In gespannter Erwartung zerstreute man sich. Welche Lösung war wohl gefunden worden?
    Polizeikordon beim Parlamentsplatz. Passieren konnte ihn nur, wer sich auswies. Ein düsterer, furchterregender Anblick. Viele Soldaten, Honvéds; ihre abgelegten Waffen bildeten pyramidenförmige Haufen. Vor ihnen Oberst Fabritius, der Befehlshaber. Zwischen den Honvéds eine Hundertschaft Husaren in Ruhestellung. Hinter den Reihen der Polizisten wartende, neugierige Leute, nicht allzu viele, vielleicht hundert. Bei der Alkotmány-Straße eine größere Menschenmenge. Es hieß, die Regierung habe die sozialistische Arbeiterschaft dorthin bestellt. Auf dem Platz Journalisten, welche die bekannteren Abgeordneten mit Hochrufen begrüßten, und dann verschwanden alle eilig im Inneren des Parlaments. Flüsternde Gruppen bildeten sich auf den Korridoren.
    Doch nun erklang die Glocke, sie rief die Abgeordneten. Rasch begaben sich alle in den Saal. Der Protokollführer las schnatternd etwas vor. Es mochte das Protokoll der letzten Sitzung sein. Die Abgeordneten hämmerten in ihren Bänken nervös auf die Pulte. »Beeilen wir uns!«, riefen Eingeweihte hier und dort. »Kommen Sie endlich zum Schluss!«, polterte Sámuel Barra und blickte unruhig zum Vorhang, der die Tür verdeckte. »Beeilen wir uns!«, drängten immer mehr Leute auch von unten, bis der Protokollführer schließlich fertig wurde.
    »Wenn niemand etwas anzumerken wünscht, erkläre ich das Protokoll für beglaubigt«, sagte der Präsident schnell. Vizepräsident Rakovszky führte den Vorsitz.
    In Totenstille unterbreitete er jetzt eine Präsidialvorlage. Die heutige Sitzung sei durch ein königliches Skript einberufen worden. Generalleutnant Nyiri habe als bevollmächtigter königlicher Kommissar dem Präsidium mitgeteilt, dass er die Mitglieder der Legislative heute um elf Uhr im Königspalais erwarte, um ihnen dort die Verordnung über die Auflösung des Parlaments vorzulesen. Der Parlamentsvorsitzende machte dazu einige Anmerkungen, feine Unterscheidungen. Das entsprechende königliche Skript sei ihm nicht vom Ministerpräsidenten, sondern in einem geschlossenen Umschlag von zwei Offizieren übergeben worden. An dieser Stelle erschallten einige Zwischenrufe, manche sprangen auf, aber die Anführer ermahnten sie. Rakovszky fuhr mit der Vorlage fort; dabei sprach er mit leicht fremdländischem Akzent, denn er hatte zur gemeinsamen Armee gehört, bevor er Politiker geworden war. Es entspreche,

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