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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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der Riviera befragt. Kamuthy erkundigte sich nach den Geschehnissen in Budapest. Er antwortete stets mechanisch, ziemlich langfädig, während er mit allen Nervenfasern nach aufklärenden Zeichen forschte, warum Adrienne ihn nach Hause bestellt hatte. Er musterte der Reihe nach die Gesichter. Vergeblich. Alle waren wie gewohnt. Einzig in Judiths Augen hatte ein feindseliges Licht geblinkt, als sie ihm die Hand reichte, es verschwand aber gleich, und sie setzte die Unterhaltung mit ihren Nachbarn fort. So dauerte es eine Weile.
    Adrienne erhob sich, als man die Tischlampen hereinbrachte, wie wenn sie bloß dem Diener Platz machen wollte, damit er die Konsolenlampe erreichte, die hinter ihr stand. Sie schritt zur Glastür, die auf den Graben des Szamos ging, und blickte hinaus in die hereinbrechende Dämmerung. Bálint stellte sich neben sie.
    »Schauen Sie sich die Brücke dort gut an!«, sagte sie leise, ohne sich ihm zuzuwenden. Sie deutete die Richtung mit dem Kinn an, dann kehrte sie zur Gesellschaft zurück.
    Bálint blieb allein und betrachtete den doppelten Steg, der, vom Haus etwa zehn Meter entfernt, den Mühlgraben überwand. Am Rand des Grundstücks nahm er ein wackliges, anscheinend festgenageltes Lattentor wahr. Einige Bretter in der Brücke fehlten, ihr Geländer war morsch, man sah ihr an, dass sie schon lange nicht mehr benutzt wurde. Am anderen Ufer zog sich ein Weg hin. Dahinter, weiter entfernt, lag der noch winterliche Park.
    Als er sich wieder unter die anderen mischte, sprach ihn Adrienne an: »Ach, ja! Ich muss Ihnen Ihr Buch zurückgeben. Es war interessant. Danke.« Sie ergriff einen auf dem Schreibtisch liegenden kleinen Tauchnitz-Band und überreichte ihn. Bei der Bewegung, die ihre Hand beschrieb, erblickte Bálint den Titel. Es war nicht sein Buch. Er kannte es gar nicht. Trotzdem steckte er es sich in die Tasche, und dabei spürte er, dass im Buch etwas knisterte. Ein Brief! Mit unveränderter Miene antwortete er: »Nicht wahr? Nicht gerade ein gewaltiger Wurf, aber gut geschrieben … Ich freue mich, dass es Ihnen gefallen hat.«
    »Ja, eine ganz angenehme Lektüre …«
    Abády machte während einiger Minuten noch Konversation, dann entfernte er sich. Im Laufschritt strebte er heimwärts. Zu Hause schloss er sich ein, erst dann öffnete er den Brief.
    »Überqueren Sie heute Nacht um ein Uhr die Brücke. Sehen Sie Licht hinter der Glastür, dann kommen Sie herein. Tun Sie es aber nicht, wenn dahinter kein Licht brennt. Es ist wichtig! Ich muss wegen meiner Schwestern im Bett sein. Denken Sie sich aber nichts. Wickwitz!! Sie sind mein einziger Freund. (»Freund« zweimal unterstrichen.) Ich kann Ihnen die Sache zu keiner anderen Zeit erzählen. Es steht sehr schlimm!«

    Adrienne hatte lange gegrübelt, bis sie sich zu diesem Entschluss durchrang. Sie nahm mit Sicherheit an, dass Judith bei Abádys Rückkehr aufmerken würde. Seit der Briefgeschichte in Mezővarjas sah sie in ihm einen ausgesprochenen Feind. Der Umstand, dass sie nur über ein einziges Wohnzimmer verfügten, schloss aus, dass sie sich mit Bálint in Gegenwart der Mädchen in einen Winkel verziehen, den Fall mit ihm durchsprechen und ihn um einen Rat bitten konnte. Hätte sie Bálint an einem Vormittag zu sich bestellt, dann hätte Judith ihn erblicken können, wenn er den Vorgarten passierte; ihre Fenster gingen ja eben dort hinaus. Und auch mit ihm allein in der Stadt einen Spaziergang zu machen, wäre auffallend gewesen und hätte Argwohn geweckt, denn die Geschwister hatten sich bisher immer überall zusammen gezeigt, und bestimmt wäre sie jetzt einem Bekannten begegnet, der es Judith weitererzählt hätte. Nein, all das war unmöglich. Sie kannte die Schwester: Würde sie dahinterkommen, dass sie sich mit Abády beriet, dann wäre sie imstande, eine Verrücktheit zu begehen, womöglich allein zu Wickwitz nach Kronstadt zu reisen. Judith hatte die diskrete Bewachung durch die Schwester bisher nicht bemerkt, obschon Adrienne, seitdem ihr die Mädchen von der Mutter übergeben worden waren, ihr ganzes Leben entsprechend eingerichtet hatte. Judith ging am Vormittag nie ohne Fräulein Morin oder Margit aus, und vom Mittag bis zum Abend und bis tief in die Nacht hinein waren sie drei immer beisammen.
    Bálint um Rat fragen konnte sie somit nur in später Nacht. Ein Glück, dass sich das Lattentor diesseits des Stegs leicht öffnen ließ; man hatte es einst zugenagelt, aber die Nägel waren verrostet. Es schloss sich auch

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