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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Versuch gemacht, um sich »von jener Sache« zu befreien. Doch jetzt sehe er: Von Judith komme er nicht los, darum müsse, darum werde er zugrunde gehen. Er könne ohne sie nicht leben, mit einer anderen Frau leben, nein, das könnte er nicht. Er werde sich erschießen, eine andere Lösung biete sich nicht an. Nur noch einige Tage, und alle würden von seiner Schande erfahren. Zwar gäbe es noch eine Möglichkeit, die aber wünsche er sich nicht: nämlich wenn Judith unverzüglich mit ihm zusammen fliehen wollte. Ein solches Opfer könne er aber nicht annehmen. Er wähle lieber den Tod! – Es war ein gut verfasster Brief, umso mehr, als Wickwitz all dies in wirklicher Verzweiflung und ohne viel Hoffnung geschrieben hatte.
    Der Brief nahm über Zoltánka seinen Weg, und Judith antwortete gleich unter Benutzung ihres Brüderchens: »Ich will Dich retten … Hole mich … Es wird jetzt leicht sein, mit Dir zusammen zu fliehen …« Drei Tage später traf Egons Antwort ein; sie enthielt unzählige Beteuerungen der Dankbarkeit und einen genauen Reiseplan: »Wir fahren nach Graz, wo wir gleich heiraten; in Österreich gibt es keine bürgerliche Trauung.« Seine Mutter werde einen Priester finden, der sie traue … In den nächsten Tagen werde er Urlaub bekommen und herreisen …
    Margit Milóth, die das Kinderzimmer im ersten Stock mit der Schwester gemeinsam bewohnte, hatte die Veränderung in Judiths Wesen schon bei Wickwitz’ erstem Brief bemerkt. Sie sagte und fragte nichts, hörte aber nicht auf, sie zu beobachten. Sie beobachtete ihre verheimlichte Aufregung und bemäntelte Nervosität. Sie belauerte Zoltánka, als er den zweiten Brief übergab. Sie erspähte ebenfalls, wo Judith den Brief beim Schlafengehen versteckt hatte, und stahl ihn unbemerkt. Dann lief sie die hintere Treppe hinunter und eilte durch den dunklen Korridor zu Adrienne. Wie ein kleines, hübsches Gespenst, so wanderte sie rasch in ihrem langen Nachthemd dahin.
    Adrienne las noch im Bett. Margit setzte sich zu ihr, und miteinander lasen sie Baron Egons Schreiben. Das Telegramm nach Portofino, das Abády nach Hause rief, ging am nächsten Morgen ab.

    Abády kam in Budapest am Vorabend des Sitzungstags an. Er beschloss, tags darauf um die Mittagszeit weiterzureisen, sodass er an der Sitzung am 19. Februar würde teilnehmen können. Aus den unterwegs gekauften Zeitungen wusste er bereits, dass diesmal nicht wie bisher von einer Vertagung die Rede sein sollte; vielmehr stand die Auflösung des Parlaments bevor gemäß eines königlichen Skripts und durch einen königlichen Bevollmächtigten, den man in der Person des Honvéd-Generalmajors Sándor Nyiri auch schon ernannt hatte. Das Vorhaben widersprach den geltenden Gesetzen; es war verboten, ohne Staatshaushalt oder ohne Ermächtigung durch das Parlament das laufende Budget fortzuführen. Dies galt schon als gewaltsame und kriegerische Tat, als die erste ernste Wendung im Kampf zwischen dem Herrscher und dem Parlament, und es konnte leicht revolutionären Aufruhr nach sich ziehen. Sorgenvoll begab er sich ins Casino, um Neuigkeiten zu vernehmen und von der Stimmung ein Bild zu gewinnen. Die Säle waren natürlich zum Bersten voll. Aufgeregt diskutierte man überall, obwohl die Nachricht die Leute von Pest nicht unerwartet getroffen hatte. Seit Beginn der Krise wusste jedermann im Voraus, was die Trabanten-Regierung plante und was das »Führungskomitee« der Koalitionsparteien zu tun gedachte. Hochrangige Beamte, von nationaler Solidarität geleitet, hatten jeweils die Führer der Opposition über die vertraulichsten Pläne der Regierung unterrichtet, sodass den Politikern das Bevorstehende stets bekannt war und sie in der Presse gleich Sturm läuteten; auf der anderen Seite pflegten auch die Herren vom »Führungskomitee« ihre neuesten taktischen Schritte dem einen oder anderen guten Freund, der eigenen Frau oder ihrem Schwager zu verraten, die sie wiederum anderen Vertrauenspersonen weitersagten, und diese taten dasselbe, sodass länger als ein bis zwei Tage nichts geheim blieb. Das war jetzt nicht anders. In den verschiedenen Gruppen diskutierte man nun nur darüber, was weiter folgen werde.
    Manche meinten, die »Trabanten« hätten nun vor, auf einen alten, ebenfalls bekannt gewordenen Plan zurückzugreifen und nicht eine, sondern zwei bis drei Parlamentswahlen zu veranstalten, bis das Publikum müde beigeben und eine Abgeordnetenkammer nach ihren Wünschen zustande kommen würde. Andere

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