Die Schrift in Flammen
Griff ihrer winzigen Reisetasche. Zuletzt – man läutete draußen bereits zum zweiten Mal – kam auch sie heraus auf den Bahnsteig. Beim Türpfosten streifte sie Bálint beinahe, doch sie nahm ihn nicht wahr; ihre Augen richteten sich spähend in die Ferne, sie blickte den Bahnhof und den Zug entlang, sie schaute auch in den Wartesaal erster Klasse hinein … Abády hielt es nicht länger aus. Er trat zu ihr und berührte sie am Arm. Das Mädchen fuhr zusammen.
»Judith! … Derjenige, den Sie erwarten, ist gestern schon abgereist.«
Judith blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, als sähe sie ein Gespenst. Hass verzog ihren Mund.
»Sie hier?! … Sie? … Überall nur Sie?«
Bálint wiederholte den Satz von zuvor.
»Wer? … Was sagen Sie? … Abgereist?«
Die Wagentüren wurden zugeschlagen. Die Lokomotive pfiff, und die Waggons kamen langsam in Bewegung. Das Mädchen lief mit einigen Schritten zum Zug und blieb dann verzweifelt stehen. Die Wagen rollten nun schon aus dem Bahnhof hinaus. Wie sie sich in der Ferne verloren, schwand jede Hoffnung Judiths dahin. Sie blickte dem Zug nach, und ihre Knie knickten plötzlich ein. Sie wäre hingefallen, hätte Abády nicht nach ihr gegriffen und sie bei der Hüfte gefasst. »Kommen Sie, stehen Sie nicht da …« So führte er sie durch den nun verlassenen Wartesaal. Draußen fanden sie einen geschlossenen Einspänner. Er hieß Judith einsteigen. »Zur Monostori-Straße! Dort sage ich Ihnen, wo wir stehen bleiben!«, traf Abády seine Anordnungen.
Das Mädchen hatte sich bisher ohne jede Rührung führen lassen – wie im Wachtraum. Das Rütteln im Wagen ließ sie irgendwie zu sich kommen. Sie schaute sich um und erblickte den jungen Mann neben sich. Namenloses Entsetzen weitete jäh ihre Augen, sie verzog sich in eine Ecke des Wagens und richtete ihren Blick, wie ein gefangener Vogel, mit Verwunderung und Hass auf Abádys Gesicht. So starrte sie ihn unentwegt an, während sie auf der langen Strecke dahinrumpelten, sie wandte, ohne mit den Wimpern zu zucken und ohne ein Wort zu sagen, den Blick nicht von seinem Gesicht. Abády holte einige Male zu Erklärungen aus, er habe verreisen wollen und sie ganz zufällig entdeckt, aber unter dem Eindruck ihrer aufgerissenen Augen blieben ihm die Worte immer wieder im Hals stecken.
Als das Gespann endlich vor dem eisernen Gittertor der Villa Uzdy hielt, blickte ihn Judith immer noch unverwandt an. Bálint wusste nicht, was er nun tun sollte. Erst hier erkannte er, wie peinlich es wirkte, dass er eines der Milóth-Mädchen früh am Morgen nach Hause brachte. Das Tor hatte man schon geöffnet – was tun, wie sollte er sie hineingeleiten? –, das Gesinde war bereits wach, Klatsch der grässlichsten Art war nach all dem unvermeidlich!
Dazu kam es aber nicht, und das Verdienst daran gebührte der kleinen Margit Milóth. Sie war in der Morgendämmerung erwacht und bemerkte, dass Judiths Bett leer war. Rasch kleidete sie sich an und eilte hinunter zu Adrienne, von der sie die dramatische Wendung der Wickwitz-Gyerőffy-Duellgeschichte zu hören bekam sowie die Auskunft, dass Wickwitz am Nachmittag des Vortags aus der Stadt verschwunden sei. Mit keinem Wort fragte sie, woher ihre Schwester dies wisse. Sie entsann sich aber, dass Zoltánka vor dem Mittagessen bei ihnen vorbeigekommen war; und obwohl sie es nicht gesehen hatte, mochte er Judith doch etwas übergeben haben. Daraus folgerte sie, dass sich Judith in der Nacht zum Bahnhof begeben hatte. Dort musste man sie suchen.
Während Adrienne sich eilig ankleidete, ging Margit zum Pförtner und wies ihn an, rasch einen Fiaker zu holen. Sie wartete auf die Rückkehr des Mannes, als der Einspänner mit Judith und Abády vor dem Tor hielt. Sie lief hin, half, ohne ein Wort zu verlieren, der Schwester beim Aussteigen, umarmte sie und führte sie in die Villa.
Die kleine Margit war ein entschlossenes und kluges Mädchen. Von Judiths Flucht erfuhr nicht einmal das Dienstpersonal im Hause Uzdy, und folglich sollte später auch die sogenannte Welt nie auch nur das Geringste vernehmen.
Judiths Name war vom Klatsch wohl verschont geblieben, dafür entschädigten sich die bösen Zungen umso weidlicher mit der armen kleinen Dinóra. Jene, die den Fall kannten, Abády, Gyerőffy und Kadacsay, schwiegen. Trotzdem, kaum war eine Woche vergangen, sprach darüber die ganze Stadt.
Tante Lizinkas ungelüfteter Salon war die Solfatara, aus der sich die giftigen Gase verbreiteten. Die alte
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