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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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die Augen. Er sah Feuerringe. Er kam erst zu sich, als der Butler meldete, es sei fünf Uhr; die Gesellschaft brach auf.
    »Wie viel, bitte, schulde ich dir?«, fragte er Zénó beim Aufstehen.
    »Warte mal! Ja … Zweiundsiebzig … so viel.«
    »Gut, gut … Nur damit ich es weiß«, erwiderte László, er erhob sich und ging langsam die Treppe hinunter. Unterwegs betastete er das dicke Geldbündel, das noch unberührt und prall in seiner Weste steckte. Es war da. 86.000. Es war da, noch da.
    Er ging an dem schon hellen Morgen nach Hause. Wagen von Hökerinnen fuhren dröhnend in die Richtung der Markthalle. Vor dem einen oder anderen Haus läutete bereits der Müllkutscher seine Glocke.

    Er schlief bis zum späten Nachmittag. Im Zimmer, in dem es immer stärker dämmerte, nahm er nun eine Selbsterforschung vor, und er verurteilte sich selber. Das Urteil lautete auf moralischen Tod. Es gab keine Rettung. Ihm boten sich nur zwei Möglichkeiten zur Wahl: die öffentliche und die heimliche Schande. Entweder würde man ihn, da er seine Schuld nicht beglich, aus dem Casino und damit auch aus der Gesellschaft verjagen; oder er würde den Verlust bezahlen und ließe Fannys Perlen verlorengehen; er aber verkehrte dann unter den Leuten mit gefälschter Ehre wie Wickwitz, den er deshalb selber insultiert und öffentlich gebrandmarkt hatte. Diese zwei Wege standen zur Wahl. Entsetzlich die Aussicht, öffentlich geächtet zu sein mit einem Brandmal auf der Stirn, doch noch viel entsetzlicher, in dieser heimlichen Schande weiterzuleben. Davon also musste er sich befreien. Das andere würde er wohl eher ertragen, dieses letzte Jahr hatte seine Ambitionen in der mondänen Sphäre ohnehin schon aufgerieben. – Und früher oder später wirst du so oder so zur Grube fahren, da soll wenigstens so viel zurückbleiben, dass du selber aus freiem Willen das Urteil über dich gefällt hast.
    Lange saß er vor dem staubbedeckten Reißbrett, wo er einst mit so viel Hoffnung an seiner Musik gearbeitet hatte. Das Paket von Banknoten, mehr als das, was er verloren hatte, das Lösegeld für Frau Berédys Perlen, lag auf dem Brett: ein umschnürtes Päckchen, unberührt. Das musste es, das würde es auch bleiben. Das Geld gehörte der Frau, nicht ihm. Ein Dieb wäre er, sollte er es für sich behalten. Dieses eine, das durfte er nicht tun.
    Jetzt, als er nach langem Grübeln diesen Entschluss gefasst hatte, kam eine wunderbare Ruhe über ihn, ein Gefühl, als wäre er schon vor langer Zeit gestorben.

    An den folgenden zwei Tagen ging er vielen Geschäften nach. Sein erster Weg führte zum Juwelierladen an der Dorottya-Straße. »Herr Bacherach ist heute nicht da, er ist für einige Tage verreist, aber übermorgen gegen zwei Uhr wird er ganz sicher hier sein.« Er bekam diesen Bescheid. So begab er sich zur Donáti-Straße und kündigte die kleine Wohnung, bezahlte die Miete für das letzte Quartal und verkaufte – natürlich für einen Spottpreis – die Einrichtung. Fannys Kimonos, Pantoffeln und Parfumfläschchen, alles packte er ein und brachte sie zur Post.
    Sein Klavier, das im möblierten Zimmer stand, ließ er zu einem Spediteur schaffen, mit dem er sich über den Transport nach Kozár einigte.
    Der Abend brach zweimal an, bis er mit all dem fertig wurde. Am folgenden Vormittag kam seine Wohnung an die Reihe. Er holte die Kleider und die Schuhe aus dem Kasten und verpackte sie in eine Reisetruhe. Er bemerkte den grauen Gehrock, den er damals am glänzenden Tag des Königspreises getragen hatte und seither nie mehr. Er lag auf dem Bett; die gestreifte Hose daneben, und die Lackschuhe mit sandfarbenem Einsatz am Oberteil, über den Leisten gezogen, standen auf dem Teppich. Als ob sein früheres Ich als eine entleibte, ausgedörrte Leiche daläge. Er faltete die Kleider sorgfältig zusammen. Als er die Jacke in die Hand nahm, fiel aus der oberen Tasche ein kleiner Wettzettel heraus. Eine dicke Neun stand darauf. Er hob ihn auf. Das war die ominöse Wette gewesen; er hatte sie verloren. Der Aberglaube behielt recht. Und in seiner Erinnerung ertönten die Worte wieder, mit denen er Fannys Frage – ob er viel gesetzt habe – beantwortet hatte: »Eine Kleinigkeit, nur mein Leben!« Wie wahr. Er dachte darüber nur kurz nach, dann steckte er das Kartonblatt wieder in die Jackentasche, und mit gleichgültiger Hand verpackte er die Kleider. Er verspürte jetzt keinerlei Aufregung, als gehe es um die Erinnerungen von jemand anders.
    Das

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