Die Schrift in Flammen
entfernte.
Bacherach war tatsächlich bereits im Laden. László wurde – wie seinerzeit Fanny – in den gleichen kleinen, mit Glasvitrinen gefüllten, dunklen Raum geführt, und man bot ihm den gleichen Lehnstuhl an. Nach kurzer Weile trat der dickliche, bebrillte Juwelier herein. »Womit kann ich dienen?«, fragte er, nachdem Gyerőffy seinen Namen genannt hatte.
»Frau Gräfin Berédy ist nach Italien verreist und hat darum mich gebeten, Ihnen die Summe für ihre bei Ihnen verpfändeten Perlen zu übergeben. So viel, nicht wahr, 86.000 Kronen?«
»Jawohl, so viel war es, bitte sehr«, antwortete Bacherach, und er fragte, nachdem er die Banknoten gezählt hatte: »Und wie belieben Sie zu disponieren?«
»Die Frau Gräfin hat verfügt, Sie möchten die Perlen bis zu ihrer Rückkehr behalten; hernach wird sie das Kollier abholen lassen. Geben Sie mir hingegen eine Quittung, mit der Sie bestätigen, dass die Rechnung der Gräfin beglichen ist und dass die Perlenkette jederzeit zur Verfügung steht. Sie soll natürlich auf den Namen der Gräfin lauten, ohne dass ich erwähnt werde.«
Ein diskretes Lächeln erschien am runden, blassen Gesicht des Kaufmanns. Er verbeugte sich leicht. »Selbstverständlich, bitte sehr, Sie dürfen ganz beruhigt sein.« Und er eilte hinaus in einen der hinteren Räume; nach kurzer Zeit kehrte er mit einem Brief zurück, der den Firmenkopf trug. László brachte die Quittung zur Hauptpost und schickte sie eingeschrieben ab.
»Es ist vollbracht«, sprach in ihm eine innere Stimme.
Zum ersten Mal nach langer Zeit trat er mit erhobenem Haupt hinaus, und auf dem Heimweg ging er am Casino trotzig auf der anderen Straßenseite vorbei. Er hatte das Gefühl, unter die anständigen Leute zurückgekehrt zu sein.
Zu Hause durchsuchte er noch alles. Nein, er ließ nichts zurück. Von der Wand hängte er die aquarellierte Fotografie seines Vaters ab, die er einst von Kozárd mitgebracht hatte, und er legte sie flach in den Koffer. Fanny musste er noch einige Worte schreiben. Das gehörte sich. Auch das war eine Schuld. Da er kein Briefpapier besaß, nahm er eine Visitenkarte: »Ich danke Ihnen für alles, was Sie für mich getan haben.«
So viel genügte. So viel aber sollte sein. Er adressierte die Sendung in das kleine Palais in der Burg. Bei ihrer Heimkehr würde sie den Brief vorfinden.
Es dunkelte. Er schaute auf seine Uhr. Fünf Uhr vorbei. Er hatte beschlossen, mit dem Personenzug um sechs zu verreisen. Da würde es im Wagen keinen Bekannten geben, er könnte allein bleiben. Er ließ den Hausknecht kommen, er solle sein Gepäck hinunterbringen und eine Kutsche bestellen. Er selber blieb am Fenster stehen. Die Bäume im Museumsgarten waren noch ohne Laub. Über sie hinweg ließ sich das vornehm in die Länge gezogene und von zahlreichen Kupferrippen fixierte Schieferdach des Palais Kollonich an der Ecke der Sándor-Straße von hier aus klar erkennen. Zahlreiche Schornsteine ragten daraus hervor, die man einzig von da, aus der Höhe sah. Lange betrachtete er das Palais und dachte an den Abend zurück, an dem er von Simonvásár so glücklich heimgekehrt war. Auch damals stand er lange am Fenster und richtete den Blick dorthin. So wie jetzt. Die Bogenlampen am Boulevard wurden angezündet, tausend Lampen überall in langen Reihen. »Dies sind nun die Fackeln bei deiner Beerdigung.« Ein Tramwagen kreischte unten bei der Kurve lang und schmerzhaft …
Die Mietkutsche hielt vor dem Haus. László schaute sich noch einmal um. Er erblickte das englische Gewehretui, das der Hausknecht vergessen hatte. Das Geschenk seiner Tanten einmal an der gemeinsam verbrachten Weihnacht. »Count Ladislas Gieroffy« – dies stand mit schwarzen Buchstaben darauf. Er ergriff es mit starker Hand und ging in steifer Haltung die Treppe hinunter.
X.
Die Parlamentswahlen wurden zwischen Ende April und dem achten Mai abgehalten. Die 48-er Partei gewann die absolute Mehrheit, aber die Regierung blieb unverändert, da der Pakt ihre Zusammensetzung von vornherein festgelegt hatte. Eine Opposition gab es beinahe gar nicht, nur hier und dort erhielt der eine oder andere Parteilose einen Sitz, Leute, die einst zu Tiszas Lager gehört hatten. Einzig die Gruppe der Nationalitäten stand stärker da, sie setzte sich nun aus vierundzwanzig Parlamentsabgeordneten zusammen. Eine verschwindende Zahl, gemessen an den Hunderten, welche die Regierung unterstützten. Unter unseren Bekannten kamen neuerdings Onkel Ambrus, der
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