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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Frau. In dieser Lage unterhielten sie sich mit abgehackten Sätzen. Immer weniger Worte fielen, die Sätze wurden immer kürzer. Ihre Gesichter glitten einander näher und näher, ihre Abschiedsworte flüsterten sie, ihre Abschiedsküsse tauschten sie im Hauch des anderen. Und allmählich schien es, als erwachten Adriennes Mund, ihre Hände und ihr Haar, alles an ihr zu eigenem, von ihrem Willen losgelöstem Leben. Die Frau selber lag da, als träume sie, während einige ihrer krausen Locken in Bewegung gerieten, sich von den fast perückenartig dichten Strähnen lösten und ihr schräg ins Gesicht fielen, die Augen und den Mund verdeckten oder aber, in Schwingung geraten, hoch aufragten; mehr und mehr Locken entfesselten sich, als triebe sie eine innere Kraft auseinander, oder als erfassten sie einander und lebten doch für sich, als gehorchten sie ihrem Instinkt. Auch ihre Hände glitten mit tastenden, forschenden Fingern zum Hals des jungen Mannes, sie pressten ihn und eilten über seinen Rücken, als wollten sie sich vergewissern, dass er da sei, und heftig nun schon küssten ihre Lippen Bálints Wangen, seine sich verirrende Hand, sie küssten ihre eigenen aufgelösten Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht gefallen waren, und Küsse verstreute sie vielleicht selbst in die Luft. Die verborgene Lebenskraft brach sich frei Bahn, der Lebenswille, den Bálint einst bei ihrem Anblick auf dem Eisplatz gespürt hatte. Wie damals, so wie damals warf sie jetzt die Hüfte zurück und ließ ihre Knie übereinander gleiten, so schleuderte sie die Arme hoch, als sie später leise, kaum vernehmbar mit der Stimme der Ekstase, mit der Verwunderung über das zuvor nie Gefühlte fragte: »Was, was ist das?«
    Bálint beugte sich über sie. Das Fieber der nahenden Erfüllung schüttelte ihn. Nichts mehr gab es in ihm vom Tierbändiger, nichts vom berechnenden Jäger, der eine Frau verfolgte. Irgendeine mächtige, uralte und ewige Leidenschaft hatte all dies getilgt, sie ergriff ihn stürmisch, wiewohl sein Bewusstsein wach blieb: die Erinnerung an das, worüber sie am Abend gesprochen hatten, an den Preis, den man hierfür würde bezahlen müssen – vier Wochen, so lange nur währte das Leben! – vier Wochen, und hernach, jenseits der Frist, wartete der Tod auf sie beide, auf Adrienne und auf ihn. Aber vier Wochen, vier ungestörte, glückliche Wochen – wem wurde denn überhaupt schon so viel gegeben? Vier Wochen, in denen jede Minute einer Ewigkeit gleichkam. Mit klarem Blick erkannte er das Schicksal, das sie gegen sich heraufbeschworen, als er sich neben ihr hinstreckte und halb über ihr, das Gesicht im Haar der Frau vergraben, flüsternd fragte: »Willst du es?« Es war das Schicksal, dem sie sich in diesem Augenblick verschrieben. Und gewiss wusste dies auch Addy, obwohl die Antwort nur ihre wild umschlingenden Arme und ihre Lippen gaben.

    Lange, sehr lange lagen sie wach und hielten sich in den Armen. Ein leises Rauschen vernahm man von draußen, vielleicht kam es vom Meer, oder vielleicht waren es die Schwingen des Schicksals, das sie von dieser Minute an aneinanderkettete.

    Irgendwo weit in der Ferne tönte Gesang, eine verspätete »Serenata«. Das Moskitonetz vor dem Fenster schaukelte sachte in der Brise vor Tagesanbruch. Adrienne sprach als Erste: »Geh jetzt nach Hause.«
    »Warum jetzt schon? … Noch ist es Nacht.«
    »Trotzdem, geh jetzt. Ich will nachdenken, lass mich allein.« Die Bernsteinaugen blickten ernst; sie baten, befahlen aber auch.
    »Aber heute Nachmittag, nicht wahr? … Dort, wo wir heute … Wir treffen uns dort?«
    »Ja. Komm bereits um sechs Uhr, ich glaube, ich werde früher schon loskommen …«

    Der Mann erwartete sie diesmal schon in der Gondel; niemand sollte ihn auf der Brücke entdecken. Ein Strauß von dunkelroten Rosen lag vorne auf der winzigen Bank. Er überreichte ihn der Frau bei ihrer Ankunft noch nicht, er erwähnte ihn nicht einmal. Er küsste ihr die Hand wie die anderen Male, vielleicht noch formeller, und als sich Adrienne neben ihn setzte, galt sein erstes Wort nicht der Liebe; stattdessen fragte er leise: »Wollen wir nicht die Santa Maria dei Miracoli besuchen? Sie ist da in der Nähe, eine prächtige kleine Kirche, von Pietro Lombardo aus reinem weißem Marmor erbaut …«
    So sachlich sprach er, nichts Triumphales hallte in seiner Stimme, keine Inbesitznahme, nichts in seinem Benehmen gemahnte Addy an die letzte Nacht, und dies half ihr über die ersten verlegenen

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