Die Schrift in Flammen
kleinen Kamuthy und mit Jóska Kendy. Nun, er wird sich rechts in die hinteren Reihen der vielen Tische verziehen, dort sieht man ihn nicht; und sollte sie ihn doch erblicken, dann wird er aus der Distanz grüßen oder … oder gar nicht in die Richtung blicken … so tun, als wäre er zerstreut.
Er ließ sich neben dem schmiedeeisernen Zaun nieder. Durch eine Bresche in der Masse von Menschen war Adriennes Hut sichtbar: ein großer, breiter Florentiner, unter dessen Strohgeflecht ihr Haar noch schwärzer wirkte. Manchmal, wenn sich der dicke Nachbar da über seinen Teller beugte, sah er auch ihren Mund, die weit geschwungenen Lippen, und sogar ihr Gesicht. Sonst war sie ganz verdeckt. Die Gewissheit, dass sich die Frau dort drüben befand, dass sie da war, erfüllte ihn mit wunderbarer Wärme.
Die Menge der Gäste, die das Nachtmahl einnahmen, lichtete sich nach und nach. Auch der dicke speisende Herr entfernte sich. Nun hatte er freie Sicht auf Adrienne. Und plötzlich erklang etwas in ihm. Adrienne blickte ihm entgegen, sie sah ihm in die Augen. Als wollten ihre Lippen ihm etwas sagen …
Allmählich brachen die Milóths auf. Sie schritten den mittleren Gang entlang, der Papa mit den Töchtern, mit Kamuthy und Jóska voran. Adrienne blieb zurück, sie blieb stehen und wandte sich ihm zu. Sie rief ihn!
In wenigen Augenblicken stand er neben ihr: »Morgen, Nummer dreiundzwanzig … Hotel König Stephan, um vier Uhr …« Diesen Befehl erhielt er; mit leisen Worten, unglaublich schnell hatte sie gesprochen, und die Stimme der Frau schien fiebrig und verzweifelt zu klingen. Sie schloss sich, sobald sie geendet hatte, den anderen an. Bálint kehrte zu seinem Tisch zurück.
Sein Herz schlug heftig, es drohte ihm die Brust zu sprengen.
Abády fand sich pünktlich ein in dem altmodischen, dunklen Hotel, das nur Leute aus der Provinz frequentierten. Leise klopfte er an der Tür und trat ein. Addy kam ihm entgegen. Ihre Miene war ernst, beinahe feierlich. Sie ließ nicht zu, dass er sie umarmte, und hielt den Mann mit einem einzigen, zurückgekrümmten Finger von sich fern. Bálint fiel auch auf, dass sie ihn jetzt nicht duzte. Sie setzten sich auf Stühle vor dem Fenster.
»Ich habe Sie kurz sehen wollen. Wir haben nur einige Minuten, die Mädchen sind mit Fräulein Morin ausgegangen, um Einkäufe zu besorgen, aber sie werden bald zurück sein. Wir fahren nach Venedig. Wissen Sie, die arme Judith macht uns viel Kummer. Seit … Sie wissen ja … seitdem ist sie wie eine Nachtwandlerin … manchmal wirkt sie auch etwas verwirrt … Das kommt zwar selten vor, ist aber doch so; vielleicht nur für diejenigen, die sie kennen. Man hat uns deshalb empfohlen, sie irgendwo hinzubringen, wo sie etwas anderes zu sehen bekommt als nur das, was in ihr Erinnerungen weckt … Meine Mutter ist immer noch krank, und Vater kann sein Landgut nicht verlassen. So begleite ich nun die beiden. Dies alles, Sie können es sich vorstellen, war nicht leicht zu bewerkstelligen, aber ich habe es doch erzwungen.«
Eine Weile schwiegen sie. Bálint wartete gespannt und aufgewühlt. Er spürte, dass nun etwas kommen würde, was Adrienne noch nicht ausgesprochen hatte, schicksalsschwer Ernsthaftes. Ihre Stimme klang so kühl: »Die Dinge stehen so, dass ich vier bis fünf Wochen dort bleiben kann, das ist … in Almáskő gebilligt worden …« Ihre onyxgelben Augen gingen nun unerwartet weit auf, sie blickte Bálint gerade ins Gesicht und sagte ganz langsam: »So viel Zeit also haben wir. Einen Monat … so viel haben wir … wenn Sie sich dort einfinden wollen …«
»Addy! Addy!«
Die Frau ließ ihn aber auch jetzt nicht an sich heran.
»Nein! Jetzt nicht! Später, in Venedig … wir haben vier Wochen … Viel ist es nicht, aber doch vier ganze Wochen … Nachher allerdings ist alles zu Ende!«
Die Worte griffen dem jungen Mann ans Herz.
»Wie, wie meinst du das? Das darf nicht sein.«
»Was scherst du dich darum?« Und Addy lachte jetzt zum ersten Mal, es war ein bisher unbekanntes, tiefes, an Taubengurren gemahnendes Lachen. »Was scherst du dich darum? Vier Wochen mit dir! … Was kümmert es dich, was nachher geschieht?«
Sie stand auf. Sie hielt die Hand vor sich und bewegte die Finger, als zähle sie.
»Jetzt aber sollst du gehen! … Sie können jede Minute da sein, und es wäre nicht gut, wenn du Judith begegnen solltest.« Vor dem Zimmerausgang erlaubte sie ihm doch noch, sie zu umarmen. Sie gab Bálint einen raschen, leicht
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